Quelle: www.nwscc.edu/english/101/Process%20Instructions.htm
MICHEL DE MONTAIGNE
Als
„den Schöpfer
der modernen philosophischen Anthropologie”
hat Ernst Cassirer Michel de Montaigne bezeichnet,
dessen Essais
wir
immer noch, „über allen Abstand der Zeiten hinweg,
unmittelbar verstehen”
könnten.7
Ein halbes Jahrhundert später als Pico della
Mirandola geboren, setzte Montaigne als erster auf
eine couragierte Selbsterforschung, die er in
paradoxer Weise als repräsentativ
für den Menschen überhaupt ansah; paradox
insofern, als es keine verallgemeinernden Aussagen
über den Menschen geben könne, nur die jeweilige
individuelle Selbsterkenntnis. Die derart rigoros
auf die persönliche Überzeugung und
Selbstgewißheit zurückbezogene Erkenntnis
hat für Montaigne einen ähnlich hohen Rang, wie ein
halbes Jahrhundert später das von Descartes
gesuchte fundamentum inconcussum, das
sich nicht mehr bezweifeln lasse und das er in dem „Ich
denke, also bin ich” fand. Wo Descartes aber bald
wieder nach einem alles absichernden Gottesbeweis
suchte, läßt Montaigne religiöse
Fragestellungen in liberal-lässiger
Skepsis weithin auf sich beruhen8
und beharrt auf der eigenen Person, die
mitsamt ihren Idiosynkrasien der einzige ihn selbst
überzeugende Erkenntnisgrund und
-gegenstand sei. Somit ist dies keine
Selbsterforschung mehr
in dem christlichen,
von Augustinus mit seinen Confessiones
vorgeführten Sinne,
sondern ein programmatisch rückhaltloser,
offener Selbstversuch.
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7 Ernst Cassirer, Vorlesungen zur
philosophischen Anthropologie (Hamburg 2005), S. 144
8 „Ein
anderer Himmelsstrich, andre Glaubensüberzeugungen, ähnliche
Verheißungen und Drohungen könnten uns auf dieselbe
Weise einen entgegengesetzten Glauben
einpflanzen. Christen sind wir im gleichen Sinne, wie wir
Périgorden oder Deutsche sind.” Michel
de Montaigne, Essais,
in 3 Bänden hg. und übersetzt von Hans Stilett <= Hans
Adolf Stiehl> (Frankfurt/Main 2002); II 12 (= 2. Buch, Nr. 12), S.
176. Montaignes Hauptwerk wurde 1676, fast ein
Jahrhundert nach der Publikation der ersten Bände,
auf den Index librorum prohibitorum
gesetzt.
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