UNBEWUSSTER TOTENKULT IN DER ERINNERUNG. - PSYCHOBIOLOGISCHE HINTERGRÜNDE
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Verluste,
die ich als endgültige erst lange nach der Trennung zu
begreifen begann, so erschütternd nun, daß
ich, mir weithin unbewußt, die
Verlorenen
im Lauf der Zeit in meinen phantasiegesteuerten
Erinnerungsbildern wie
in einer Gruft oder Krypta
beisetzte,
in der immer auch ich selbst präsent blieb:
Die
so früh verstorbene „Gitti” liegt für mich spürbar in unserem
gemeinsamen Heckenversteck am Rande des kleinen Rondells,
das mit ihren vom Erfrierungstod bedrohten Alter-ego-Figuren besetzt
ist. „Mimi”, als Jugendlicher mit dem Auto
tödlich verunglückt, bleibt als Knabe neben mir gegenüber
der Eiche hingeduckt, auf der Lauer nach einem Auto,
das gegen unsere ausgespannte Schnur sausen soll.
„Fränzi” hockt Hand in Hand mit mir in unserem
Kellerloch-Versteck, derweil die anderen immer
noch nach uns fahnden. Das Wyker Mädchen
bleibt verschollen
und etwas in mir weiterhin auf der Suche nach ihr. Elke
schließlich lebt in ihrer letzten Schülerrolle
als Schneewittchen fort, als Scheintote, der ich
wenigstens so, als damaliger „Ersatzzwerg”, noch über
Jahre hin verbunden blieb.
Tausend andere
Momente mit ihnen habe ich vergessen zugunsten dieser ausgewählten
Erinnerungsszenen, die den Verlust sinnbildlich
festhielten und mir zugleich, wie bei meinen vor dem
Gymnasium beigesetzten literarischen
Doppelgängern, Trost
spendeten, indem ich selbst jedesmal
in die Nähe dieser Verschollenen gebannt blieb. Wohl nur
auf diese Weise konnte ich sie mir auch seelisch
erhalten.
*
Wie ich nun meine
Doppelgänger, Schatten und Nebenexistenzen nicht länger als
Bedrohung empfinde, sondern sie seit einiger Zeit als
Erweiterungen meiner selbst auffassen kann, so wird mir
umgekehrt dieser Selbstbehauptungswille
immer suspekter, zu dem ich als Kind so grandios flüchtete, als
ich mich in visionärer Evidenz
von der eigenen Nichtsterblichkeit
überzeugte. Steht nicht hinter
diesem angeblichen Willen zur Selbstbehauptung,
der unsere ureigensten Interessen durchzusetzen vorgibt,
ein
überindividuelles biologisches
oder krudes genetisches Gebot,
das sich als solches entpuppt, wenn es das Selbst als
Individualität nach getaner
Lebensarbeit wieder fallen läßt? Meine kindliche
Unsterblichkeitsvision war eigentlich schon über diese
blanke Existenzerhaltung hinaus, war
zwar auch eine elementare Antwort auf meine verkappten
Suizidphantasien, versprach mir aber des
weiteren eine selbstbestimmte und nicht
länger stumme Existenz.