IV. Problematische Sinnstiftungen:
"Zuhause" und das Erzählen von (Film‑)Geschichten
Jener
wie höhnische Vogelruf war eine Antwort auf das Wort ZUHAUSE, das
Julia schon von ihrer Mutter als Trost vernommen
hatte („...alles wird gut werden”). In John Fords Odyssee
ist es das Sehnsuchts- und Erlösungswort für Debbie
und Mart. In Frage gestellt wird es erst gegen Ende der Suche,
mit den ersten Worten der wiedergefundenen
Debbie: „Ich erinnere mich. Ich hab nichts vergessen.
Ich habe gebetet, daß du kommst, daß du mich nach Hause
holst. Aber du bist nicht gekommen.” „Aber jetzt bin ich
gekommen!” Debbie: „Das ist mein Volk ... Geh,
Martin, bitte!” Die Konsequenz, daß Debbie wie die
spanische Frau
in
John Fords späterem Film ,Cheyenne Autumn’ mit
den Indianern weiterziehen kann oder daß der sogleich
dazustoßende Ethan sie erschießt oder von Mart erschossen
wird, wird in ,The Searchers’ nicht gezogen, wäre doch sonst der
Spannungsbogen des Films zerbrochen –
anders als im Roman, dessen perspektivische,
alles beseelende Zentralfigur Mart ist und
in dem Amos/Ethan von einer Squaw erschossen wird,
ohne daß dies noch weiter kommentiert werden
müßte. Ford hat denn auch Schwierigkeiten, Ethans
Sinneswandel plausibel zu machen;
dessen kleiner Triumph, die Skalpierung des von
anderen getöteten Scar, ist dafür längst nicht
zureichend. Das psychologische Defizit
kompensiert Ford durch eine poetische
Erinnerungsgeste, indem Ethan die vor der Höhle zu
Boden Gestürzte wie einst das Mädchen – bei
der Begrüßung im Blockhaus – emporreißt und in die
Höhe streckt. Debbie wiederum, nun in Ethans
Armen fortgetragen, erliegt dem Zauber
dieser märchenhaften Regression und
schlingt ihre Arme um ihn, als er erklärt: „Wir gehen
nach Haus, Debbie.” Die Schlußsequenz des Films mit
dem Heranreitenden, mit der Aufstellung von Laurie,
ihren Eltern und Mose im Schaukelstuhl nimmt
wieder in etwa (seitenverkehrt gezeigt) die
Anfangseinstellung für die Veranda vor
Marthas Haus auf und erscheint vollends als
Restitutio in integrum („alles wird
gut werden”), wenn Ethan die immer noch wie ein Kind
Getragene bei Lauries Eltern absetzt.
Führen die beiden sie ins Haus, zieht sich die Kamera vor
ihnen ein Stück weiter ins dunkle Hausinnere
zurück und gibt diese wie endlich gesicherte
Stellung nicht mehr preis. Ethan macht noch den Weg für Mart
und Laurie frei und schaut ihnen nach; er verharrt auf
der Veranda und umfaßt derweil seinen rechten
Ellbogen. Wie zu Beginn des Films ist in diesem Moment ein
stärkerer Wind aufgekommen; durch die
Türrahmung ist schließlich noch zu sehen, wie
Ethan sich umdreht und davonschreitet, bis die
Tür rasch von Innen her zuklappt und alles in
Dunkelheit hüllt.
Ethans
letzte Gebärde erinnert noch einmal an seinen Verlust, an Martha,
ihren Arm und gewisse Armgebärden zwischen beiden.
Zugleich, wie überliefert wird und sich leicht verifizieren
läßt, ist diese Gebärde eine Fordsche Erinnerung
an die Lieblingsgeste seines frühen Freundes, des
Schauspielers Harry Carey (sen.), der an die 30 Filme mit
ihm zusammen machte und 1947 starb.10