Quellen: https://fvs-gymnasium.de/index.php?option=com_content&view=article&id=103&Itemid=685
Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48) www.max-behrendt.de/jahrgang/bilder/lehrer/gross/nowak-heinz-1969.jpg
MUSIK
Bis zur Mittelstufe ist Herr Nowak unser Musiklehrer. Wie in „Kunst” und „Sport” geht es hier wohltuend entspannter und mit den Jahren immer lässiger als im übrigen Unterricht zu. Dafür aber werden diese Fächer offenbar nicht berücksichtigt, wenn über die Versetzung eines gefährdeten Schülers entschieden wird – dies im Widerspruch zu der Devise „Deo Musis Patriae” über unserem Schulportal.
Herr Studienrat Nowak ist in meinem Erinnerungsbild vielleicht Mitte dreißig, lässt sein dunkles Haar in die Stirn hängen und raucht in den Pausen gern Zigarillos. Uns jüngere Schüler spricht er wohlwollend und die älteren durchweg kameradschaftlich an, wird aber sogleich energisch, wenn er sich als Dirigent mal diesen, mal jenen Teil des Schulchors vornimmt. Vermutlich schon in der Sexta prüft und verpflichtet er mich für den „Chor”: In einer Unterrichtsstunde lässt er einen Schüler nach dem anderen auf dem Klavier vorgespielte Notenfolgen nachsingen; ich gebe mein Bestes, werde daraufhin als „Sopran” eingestuft und habe von nun an, ohne dass ich mich dazu bereit erklärt hätte, an den Chorproben teilzunehmen. Sie finden einmal wöchentlich statt, leider in einer angehängten Schulstunde.
Zwischen den Proben lässt uns Herr Nowak ab und zu ein erheiterndes Liedchen singen, so die Parodie: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen/ Den schickt er in die Wurstfabrik,/ Und lässt ihn in 'ne Knackwurst beißen ...”. Amüsant finde ich auch Mozarts „Lieber Freistädtler, lieber Gauli-Mauli” sowie das alte Landsknechtslied ‚Wir zogen in das Feld’ mit den Versen: „Wir kamen vor Friaul,/ Da hatten wir allesamt voll das Maul,/ Strampedemi. Allah gib Prozente/ Und zehn Jahr Garantie”.
Letzteres war vermutlich eine schülerinterne Parodie des uns unverständlichen verballhornten Refrains: „Strampede mi a la mi presente al vostra signori.”
Sodann läßt Herr Nowak uns manchmal nach Art eines Zapfenstreichs absingen: „Soldaten müssen zu Bette gehn./ Und nicht so lange mit den Mädchen stehn./ Zu Bett, zu Bett, zu Bett.” Wozu paßt, daß er uns gern von seiner Soldatenzeit an der Ostfront erzählt, doch sind mir diese eher amüsanten Episoden entfallen. Saß er nicht in Panzern oder Flugzeugen, gar wie mein Vater als Funker?
Überhaupt hat er mich jetzt einige Male von fern an meinen Vater erinnert. Es dürfte vor allem an seinem disparaten Verhaltensstil liegen, an der jovialen Art, in der er sich mit vielen Schülern unterhielt, um schlagartig wieder die straffe kommandierende Haltung des Dirigenten einzunehmen. Übrigens verteilte auch er Ohrfeigen, doch relativ selten und so, dass ich es akzeptieren konnte.
P.S. 2018: Wie ich jetzt von Winand Herzog erfahre, saß Herr Nowak wohl als Navigator an der Seite seines späteren Sterkrader Kollegen Erich Bovenkamp in einem Kampfflugzeug. Bovenkamp hätte gern die Anekdote erzählt, wie sie statt der Bomben, die ihnen ausgegangen waren, Ziegelsteine abwarfen und durch das ungewohnte Pfeifgeräusch russische Soldaten hervorlocken und sodann mit dem MG beschießen (lassen) konnten.
So ließ denn auch in der ‚Bierzeitung’ unseres Vorgängerjahrgangs zur Mittleren Reife (1961) unser Musiklehrer „Herr Note“ in einem fiktiven Interview verlauten:
„Nun, da war erst mal die ‘gute alte Tante Ju‘ und dann auch die He 111. Tolle Dinger, kann ich Ihnen sagen ... die kamen auch ohne Flügel wieder zum Flugplatz zurück ... Meistens mussten wir die Luft ein wenig eisenhaltig machen. Als wir keine Bomben und Munition mehr hatten, schmissen wir einfach Backsteine auf die russischen Kürbisköpfe.“
Als Chorleiter studiert unser Musiklehrer in der Sexta oder Quinta monatelang mit uns den ‚Struwwelpeter’-Zyklus <von Siegfried Köhler> ein, aus dem ich noch die Kernstellen so ziemlich aller Episoden hersingen kann. Eine der zwei oder drei Aufführungen, für die unser Kunstlehrer Otto Schäcke ein riesiges Ölgemälde der Titelfigur anfertigte, findet zur Weihnachtszeit in einem Sterkrader Altersheim statt.
Ein andermal begeben wir uns zu einem nahgelegenen Friedhof, um bei der Beerdigung eines Mitschülers zu singen. Es ist sicherlich jener Schüler, dessen frühen Tod unser Deutschlehrer Dr. Linnartz so beklagt hatte. Bei den Abitursfeiern tragen wir außer dem „Geleit”-Lied auch wiederholt den Chor „Wacht auf!” <aus den ‚Meistersingern’> vor. Wir haben uns dazu im Musiksaal aufgestellt, dessen hintere Schiebewand zur danebenliegenden Turnhalle hin geöffnet ist. Drunten sitzen sie in langen und breiten Stuhlreihen; Kübel mit Lorbeerbäumchen und Ähnlichem stehen neben dem Podium, an dem der Direktor, Elternvertreter und einer der Abiturienten Ansprachen halten.
Nach ständigen Lärmstörungen wurde die Holzschiebewand zur Turnhalle hin 1958 durch eine massivere Zwischenwand ersetzt und im Folgejahr die durch einen Neubau ersetzte Turnhalle zur Aula umgebaut. Vgl. ‚Schulchronik’ S. 88f. und S. 23.
Der mir bis zur Oberprima drohende „Chor”-Besuch wird mir immer lästiger. Ihn einfach zu schwänzen, geht nicht, da Herr Nowak unsere Anwesenheit jedesmal überprüft. Doch irgendwie schaffe ich es endlich, davon freizukommen, habe aber einige Zeit danach arge Befürchtungen, in Musik noch nachträglich geprüft zu werden, da ich nun auch dem regulären Unterricht oft fernblieb.
Herr Nowak wechselte später auf das Theodor-Heuss-Gymnasium in Dinslaken, wo er wie bei uns als Organist und zudem als Kreiskirchenmusikrat wirkte. – Zu den von ihm komponierten oder arrangierten Motetten und geistlichen Liedern vgl. diesen <z.Z. leider verschollenen> Link.
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