Home
Impressum
RUTH FLEIGS GALERIE
Schulkinder malen
Bilderbuch Rob. Rabe
Kritzel-Kratzel
HORST FLEIGS TEXTE:
I  Philosophica
A ZUR ANTHROPOLOGIE
Sloterdijk-Habermas
Pico della Mirandola
Michel de Montaigne
J. G. Herder
Max Scheler
Helmuth Plessner
Rück- und Ausblick
B ERINNERUNGSBILDUNG
Schock der Rückkehr
Erinnerungsautomatik
Wuchernde Phantasie
Seel. Raumpositionen
Sprache und Erinnern
Besuch als Korrektiv
Identitätsfragen
Steuernde Phantasie
Über das Vergessen
Biogr. Stimmigkeit
Proust. Doppelgänger
Psychobiologisches
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI Germanistica

FEHLER BEI DER ERINNERUNGSBESCHREIBUNG

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------



Detailreicher und in ihrer szenischen Anschaulichkeit vielleicht leichter wie­derzugeben ist eine singuläre Ge­sche­hens­ab­fol­ge aus die­ser Zeit, der abendliche Feldzug gegen die be­nach­bar­te Siedlung:

 

Wir stehen, den Garten meiner Großeltern im Rücken, dicht beisammen. Län­geres angespanntes Abwarten und Hin­über­schau­en schräg nach links über ein breites Feld hin. Ein neben mir stehender Junge nimmt auf einmal sein Stirn­band aus Well­pap­pe ab und betrachtet wortlos eine Delle: ein Stein aus einer Zwille hat ihn dort getroffen. Nun sind wir dicht an die feind­li­che Siedlung her­an­ge­rückt; Fackel­schein im Hintergrund. Während unseres Rück­zugs ei­ne ein­zel­ne Kampfhandlung: Unser Anführer schlägt ei­nem Geg­ner, der ihn von hinten umklammert, mit mei­nem höl­zer­nen To­ma­hawk – ich habe es ihm heute aus­geliehen – ei­ni­ge­mal kräf­tig auf den Rücken oder in die Seit­e. Wir wer­den dann wohl nicht mehr wei­ter ver­folgt.


Diese Episode gehört zu den wenigen meiner Kindheit, die noch halbwegs narra­tiv, in zusammenhängender Ab­fol­ge wie­der­zu­ge­ben sind. Dennoch stellt sich mir beim Wiederlesen diese abendliche Szenenabfolge weit flüs­si­ger und kla­rer dar als in mei­ner Er­in­ne­rung. Zunächst wäre erneut anzumerken, daß auch in diese Wie­der­ga­be Ana­chro­nismen und externe In­for­ma­ti­o­nen ein­ge­flos­sen sind. Es war zwar „Wellpappe”, doch kann­ten wir den Ter­mi­nus nicht, nur die Nutz­bar­keit dieser Pap­pe fürs Ein­ste­cken von Gän­sefedern. Die Zwille hieß bei uns „Flet­sche” und das To­ma­hawk wohl noch „Indianer-” oder „Kriegs­beil”. Daß es aus Holz war, stimmt, spielt je­doch in mei­ner sze­ni­schen Erinnerung keine Rol­le, versteht sich dort ge­wis­ser­ma­ßen von selbst. Doch sind dies so­weit nur Un­ge­nau­ig­keiten bei der Wortwahl, die leicht zu korrigie­ren wären. Anders die star­ke An­schau­lich­keit, die vor al­lem durch den Ge­brauch von Substantiven suggeriert wird. So dürfte ich eigentlich nicht ein­mal von ei­nem „Beil” spre­chen, denn ich sehe es nicht mehr, sehe nur noch sche­menhaft die wilden Schlag­be­we­gun­gen – weiß frei­lich, daß sie mit mei­nem Beil aus­ge­führt wer­den. Auch kann ich nicht erkennen, daß „wir” da ste­hen, ha­be nur das Ge­fühl, daß meh­re­re „von uns” sich in un­mit­tel­ba­rer Nä­he be­fin­den. Und ei­ne wei­te­re un­schein­ba­re Gedankenlosigkeit: Der Garten, der da kaum be­ach­tet in un­se­rem Rü­cken liegt, ist nicht der „mei­ner Groß­el­tern”, sondern der von „Oma und Opa”. Mit dieser kind­li­chen, mich im­mer noch fröh­lich und er­leich­tert stim­men­den An­re­de­form verändert sich mir auch dieser Garten selbst, gewinnt etwas von einem Refugium und macht zu­gleich dar­auf auf­merk­sam, daß sich ausgerechnet diese Gartenszene als Aus­gangs­bild der Kampfaktionen festgesetzt hat (von der gan­zen Vor­ge­schich­te ist mir nichts mehr er­in­ner­lich).


Was also tun? Neue Beschreibungsformen für diese weithin schemenhaft bleibenden Vorgänge entwickeln, für das vage Raum- und Selbstgefühl und die meist nur partiell einzulösenden Wortbedeutungen? Wäre das nicht über­trie­ben? Ist es nicht eher so, daß bei der Wiedergabe von Erinnerungen einige fundamen­tale Un­zu­läng­lich­kei­ten der Sprache nur besonders kraß hervortre­ten? Wird nicht schon syntaktisch durch die Zu­ord­nung von Sub­jekt und Prä­dikat sowie seman­tisch durch die immer nur mehr


- 19 -
ZurückWeiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/