BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. VOM VERSTECKSPIELEN ZUM KRYPTISCHEN ERZÄHLEN
_________________________________________________________________________________________
Opfer
aufnimmt, drängen wie sein Ribbeck-Gedicht über Faszinosum wird,
das den Täter zu sich zieht und ihn schließlich eins mit dem Opfer
werden läßt. Die
auch hierbei wiederholt spürbare anthropophagische Tendenz wird zwar
ebenfalls zeitüberschreitend sublimiert, aber nicht in dem
utopischen Sinne des Gedichts, sondern in einem Akt des
Ungeschehenmachens oder der Schuldaufhebung.
*
'Ellernklipp'
(1881)
ist in manchem eine Variation der ein Jahr zuvor erschienenen 'Grete
Minde'. Die Fremdheit der jetzigen Pflegetochter wird nicht
durch die konfessionelle Herkunft begründet, sondern psychosozial
durch ihre illegitime gräfliche Abkunft und ihre so rätselhaft
anziehende Müdigkeit, die von ihrer "zehrenden" Sehnsucht
herrühren soll (so die Haushälterin Grissel). Schon am Ankunftstage
im Hause des Heidereiters Bocholt war die Kleine, die nicht mehr
wegwollte vom offenen und ins Weite lockenden Fenster, von Grissel
mit den Worten zurechtgewiesen worden: "Bei der Arbeit vergehen
einem die dummen Gedanken, und der Böse kann nicht herein, der immer
vor der Tür steht."10
Es
ist diese Angst vor einem Eindringling, die nun auch in dem
winterlichen Lieblingsspiel von Hilde und Bocholts Sohn Martin
durchscheint und zugleich beschwichtigt wird, in ihrem Versteck
nämlich,
das sich die Kinder in einer mit Stroh und Heu ausgepolsterten
Schneehütte einrichteten:
"Da
saßen sie halbe Stunden lang, sprachen kein Wort und hielten sich
nur bei den Händen. Und Mar-
tin
sagte, sie seien verzaubert und säßen in ihrem Schloß und der
Riese draußen ließe niemand ein.
Dieser
Riese aber war ein Schneemann, dem Joost eine Perücke von
Hobelspänen aufgesetzt und an-
fänglich
ein Schwert in die Hand gegeben hatte, bis einige Tage später aus
dem Schwert ein Besen und
mit
Hilfe dieses Tausches aus dem Riesen selbst ein Knecht Ruprecht
geworden war."11
Der
kleine Tausch, durch den der ritterliche, einem Roland gleichende
Beschützer zu der Schreckgestalt par excellence für Kinder wird,
bezeichnet das immer stärker aufkommende Lebensgefühl im Hause des
Forstaufsehers. Baltzer
Bocholt ist es, vor dem die beiden Kinder sich schon jetzt verstecken
und
dem sie als Jugendliche dann aus dem Wege gehen, bis er sich zuletzt
wirklich wie ein Eindringling ans eigene Haus heranschleicht, um die
beiden bei ihrem Liebesgeständnis zu belauschen.
Baltzers
Sichanschleichen und Auflauern wird durch bestimmte Manöver des
Erzählers intensiviert, der zunehmend die Perspektive des
erotisch
auf die
Pirsch Gehenden übernimmt und die Kinder in dem Versteck-
-------------------------------------------------------------------------------------------
10
N II, 178 11
N II, 183f.