Postskript September 2018
Die
erste Fassung dieses Essays erschien 1979 unter dem Titel: 'Bilder
Fontanes gegen den Tod' (in: 'Formen realistischer Erzählkunst.
Festschrift
for Charlotte Jolles. In Honour of her 70th Birthday', Nottingham, S.
457-470). Der
Aufsatz führte damals noch nicht den Untertitel 'Vom Versteckspielen
zum kryptischen Erzählen', den ich nunmehr hinzugefügt habe, um die
über ein Leben hin sich entfaltende und zu einer Art
Zeitenthobenheit drängende kryptische Erzählstrategie Fontanes zu
verdeutlichen.
Die
Bedeutung des "Versteckspielens" und der "Buchbinderei"
des Knaben Theodor Fontane für die spätere Erzählkunst Fontanes
hatte ich schon zum Abschluss meiner Dissertation von 1973
thematisiert.69
Paul Irving Anderson hat dieses
Motiv des Versteckspiels vor allem für die
(auto-)biographischen Hintergründe und Anspielungen in Fontanes Werk
in einer Reihe von Studien geltend gemacht,70
während Holger Ehrhardt es in
seiner Dissertation von 200671
wieder stärker auf die Erzählweise
Fontanes zurückbezog.
Ehrhardts
Überblick über die Forschungsgeschichte zu Fontanes "Subtexten"
stellt auch meine speziellere These von einer kryptischen,
primär sexualsymbolisch verschlüsselten Erzählstrategie Fontanes
näher vor und macht
dabei auf das Wiederauftauchen so mancher Motive aus meiner
Dissertation bei Peter-Klaus Schuster aufmerksam.
Dieser nämlich, der spätere Generaldirektor der Staatlichen
Museen zu Berlin, hatte meine in dem Doktorandenkolloqium von Richard
Brinkmann verlesene Arbeit mitverfolgt, mir danach unter vier
Augen Komplimente in den Leib geschossen und etliches aus dieser
Dissertation dann in seine eigene Doktorarbeit
(Tübingen 1978) aufgenommen, und zwar stillschweigend. Vielleicht
blieb er deshalb so eigenartig diskret, um diese für mich
sexualsymbolisch aufgeladenen Motive Fontanes unanstößig in seine
eigene kunstgeschichtliche Argumentationslinie einfügen zu können:
Seiner Dissertation 'Effi Briest - Ein Leben nach christlichen
Bildern' zufolge steht Effi nämlich in der Nachfolge Mariä.
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69
Auf S. 219 der 1974
gedruckten Dissertation, vgl. die Quellenangabe auf
S. 3.
70
Zuletzt in seinem Buch
'Der versteckte Fontane und wie man ihn findet'
(Stuttgart 2006). 1998
stellte Anderson die Frage: "Welcher Literaturwissenschaftler
hat als erster die Versteckspiel-These formuliert? ... Entscheidend
für die Erkenntnis, daß System dahinter steckt, waren m.E.
Walter Keitels Anmerkungen in der Hanser-Ausgabe, die mehrfach auf
die Versteckspiel-Stelle <d.i.
in Fontanes 'Meine Kinderjahre', H.F.>
hinweisen. In seiner 1974
veröffentlichten Doktorarbeit hat Horst Fleig sie so gedeutet,
daß Fontanes Romane wie kodierte Texte gelesen werden können. Noch
genialer ist sein Beitrag von 1979 <d.i.
'Bilder Fontanes gegen den Tod'>.
Aber tatsächlich diskutiert wurde die Versteckspieltheorie erst, als
mein Artikel von 1980 <d.i.
'Meine Kinderjahre - die Brücke zwischen Leben und
Kunst'> kritisch
rezensiert wurde." So P. I. Anderson in seinem Aufsatz '„Von
'Selbstgesprächen' zu 'Text-Paradigma'. Über den
Status von Fontanes Versteckspielen' ('Fontane
Blätter', Heft 65-66, 1998, S. 300-317; Zitat S. 302).
Allerdings
brachte mich nicht Walter Keitel mit seiner 1973 erschienenen Ausgabe
der 'Kinderjahre' auf versteckte Erzählformationen
Fontanes, vielmehr war es meine
Entdeckung von nicht bewusst ablaufenden "Übersprungsbewegungen"
und "Symptomhandlungen" der
Fontaneschen Romanfiguren, die ich 1968 in einer Seminararbeit bei
Richard Brinkmann beschrieb und die mich sukzessive auf
tieferliegende kryptische Textschichten dieses großartigen
Versteckspielers führten.
71
Holger Ehrhardt,
'Mythologische Subtexte in Theodor Fontanes „Effi
Briest"'; gedruckt 2010 als Bd. 6 der Reihe 'MeLiS'
(bei Peter Lang,
Frankfurt/Main). Vgl. insbesondere S. 48f., 84-86, 110 und 126f.