Wenders’ Zugang zu Dashiell Hammett
Zu
Beginn seines Filmprojekts vertiefte sich Wim Wenders in Hammetts
schriftstellerische Entwicklung. Er nahm sich besonders sein
Lieblingsbuch ,Rote Ernte’ (1929) vor und verglich
Hammetts ursprüngliche, in mehreren Fortsetzungen im
,Black-Mask’-Magazin erschienene Fassung mit
deren Überarbeitung, die daraus allererst eine große
zusammenhängende Erzählung machte. Durch diesen Satz für Satz
durchgeführten Vergleich habe er Hammetts
Arbeitsweise begriffen
und sich auf den eigenen Film vorbereitet, der sich auf diese
Weise allerdings von dem von Coppola als
Arbeitsgrundlage vorgegebenen Hammett-Roman Joe Gores entfernen
mußte. „Ich wollte einen Menschen zeigen, der
Detektiv gewesen war und aufgrund seiner Krankheit mit dem
Schreiben beginnt, sich einen Stil aneignet,
Schriftsteller wird durch die Beschreibung einer
Arbeit, die er aus eigenem Erleben kennt und woraus er Literatur
macht ... Francis Coppola hat wohl
meine Vorstellungen geteilt, aber
er war Produzent für ORION,
und das Studio erwartete einen Actionfilm”.3)
Das
klingt ein wenig resigniert und wurde zusammen mit anderen Äußerungen
von Wenders sogar als schrittweiser Rückzug aus
der eigenen künstlerischen Phantasie und Verantwortung
aufgefaßt. Wunderlicherweise hatte Hammett einst das
nämliche Problem. In dem Hammett gewidmeten,
von Coppola herausgegebenen Magazin ,City of San Francisco’,
das Wenders sehr inspirierte, erwähnt Hammetts Frau Jose
die folgenden Zumutungen, mit denen der
Schriftsteller in seinem Anfängen fertigzuwerden hatte: „When
he started to write he used to get these letters: ,more
action, more action.’ He
was kind of upset about that. They told him if he’d only do
so-and- so he could make a lot of money”.4)
Die
innere Entwicklung Hammetts zum Schriftsteller hat Wenders in der
offiziellen Filmhandlung nur andeuten können. So
treibt die Suche nach dem in Chinatown entwendeten
Manuskript Hammetts Erinnerungsflashs dank filmischer
Mittel wie Überblendung und Insert längere
Zeit weiter voran; und verwandeln sich die Charaktere des soeben
erlebten Kriminalfalls am Ende in die
Handlungsträger der neugeschriebenen
Krimiversion. In der kryptischen Version
läßt
sich diese Durchdringung und Aneignung der Wirklichkeit
durch Hammett als fieberhaft kombinierendes
Phantasiespiel
stilistisch
genauer verfolgen. Und diese kryptische Version macht damit
auch die andere Erklärung von Wenders
verständlicher, daß es ihm nämlich darum zu tun war, bis
zum Ende des Films „eine
Balance für mich zu finden
zwischen
der reinen Kriminalhandlung und der
Geschichte dieses Schriftstellers, der anfängt, die
Wirklichkeit ein wenig mit seiner eigenen
Fiktion zu verwechseln”.5)
Es
sind dies vor allem zwei
magisch mit Hammetts „Underwood”-Schreibmaschine
verknüpfte Leitmotive,
die alles Dargestellte, inclusive der Action-Szenen,
permanent mit der Phantasie des angehenden großen
Schriftstellers in Verbindung halten: das
Action-Motiv der geraubten Perlen
und
das filmisch-literarische der Dominanz von
Streifenmustern, die von Hammetts
Schreibmaschinen-Zeilen ausgehen und besonders als vielfältig
variierte Licht- und Schattenstreifen vor Augen
kommen.
Beide wie beiläufig inszenierten Motive spiegeln Fiktion
und Realität derart halluzinatorisch
ineinander, daß es nur folgerichtig ist, wenn die
anfänglich fiktive Szenerie in den Docks von
Fisherman’s Wharf am Ende als realer
Schauplatz wiederersteht und die traditionelle
Schlußformel „THE END”, die ja eigentlich jedem
Film im nachhinein aufgestempelt wird, diesmal
noch aus dem Filminnern hervordringt, gesetzt von
Hammetts „Underwood” (zum Abschluß seines
neuen Krimis). Ein Ende, das eine
literarisch-künstlerische Neugeburt
signalisiert. Seine Negativform ist das Ende
für Wenders’ Parallelfilm ,Der Stand der Dinge’.
Dessen Schlußbild, das Erstarren des Bildflusses
in Munros Super-8-Kamera, bezeichnet sowohl
das gebrochene Auge des erschossenen
Regisseurs als auch das Ende eines bestimmten, in die
eigenen Bilder vernarrten Filmstils.