ZUR-SPRACHE-BRINGEN UND ÜBERARBEITEN DES ERINNERTEN
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durch
jenen Schock vor dem Klingelschild des ehemaligen
Elternhauses, als ich dort auf ein verschollenes und
mich anklagendes ‚Ich’-Phantom traf.
Nach
der langjährigen Recherche bin ich weiter denn je davon entfernt, in
einem objektivistischen Sinne nach der Richtigkeit der
erinnerten Ereignisse und Eindrücke zu fragen. Denn
als weit bedeutsamer und triftiger hat sich die schon in mein
damaliges Problembewußtsein
laufend hineinspielende Phantasie erwiesen; ein sinn- und
gestaltgebendes Zusammenspiel, das
mich ebensosehr überraschte wie es mich
neues
Vertrauen in die eigene Biographie
fassen ließ. Die Entwicklung war nicht geradlinig,
scheint sich jedoch weithin einer intuitiven und
streckenweise
wie traumwandlerischen Sicherheit
zu verdanken, durch die das Kind vor allem in
feindseliger Umgebung, nicht zuletzt
durch Verstellung oder Lug und Trug, durch unscheinbare
Renitenz oder offene ‚Meuterei’ sowie
mit Hilfe all dieser nichtbewußten Impulse und
Fiktionen, immer wieder wie mäandrisch
zurückgefunden habe zu dem, was ihm gemäß
sein könnte.
Nur hinsichtlich
der SPRACHE
war schon von Beginn an nach der Verläßlichkeit der
Erinnerungen zu fragen. Deren fragmentarischer
und verwischter Charakter droht durch die
Beschreibungssprache des Erwachsenen vollends
unkenntlich zu werden, durch eine
Sprachkompetenz, die in ihrem technischen oder
abstrakten Vokabular ebenso wie in ihrem
flüssigen und argumentativen Duktus
insbesondere der Bewußtseinsbildung des Kindes
zuwiderläuft. Die Gegenmittel stellte ich auf S.
16-20 vor und richtete außerdem für Vermutungen
und Erläuterungen, die deutlich über den
Horizont des Kindes hinausgingen, den in kursiver
Schrift abgesetzten Textraum ein. Aber auch in
der nun möglich gewordenen unscheinbaren
Beschreibungssprache blieb ich, der Erwachsene, immer
präsent; und trotz
jener Rücksichten auf die Beobachtungssprache des Kindes,
auf dessen Vokabular und Perspektive,
setzte sich bei der Bestimmung der Erinnerungsszenen,
ja schon bei ihrer stummen genaueren Musterung,
ein Formulierungswerk in Gang, das meinen
gegenwärtigen Ansprüchen an Stimmigkeit,
Ausdruck, Tempo und Ökonomie zu genügen hatte. Und ihnen
auf Anhieb doch so wenig genügen konnte,
daß jede Textpassage bei ihrer Entstehung in der Regel
mehrmals und in größeren Zeitabständen
das eine oder andere Mal erneut gründlich zu
überarbeiten war.
Diese
jedem Schreibenden vertraute Prozedur oder vielmehr Erkenntnis- und
Arbeitshaltung scheint allerdings mit dem Impuls des
Erinnernden zu kollidieren, die zu einem früheren Zeitpunkt
abgefaßte Erinnerung als die authentische
gelten und stehen zu lassen. Verschiedene Male mußte ich so auf
interessante Einzelheiten hinweisen,
die mir nach wenigen Jahren schon nicht mehr präsent waren,
so eine ausweichende Antwort, die ich dem
mich verhörenden Schulrektor gab. Jener Impuls läßt sich mit
dem legitimen Bedürfnis nach einer
Textüberarbeitung aber dann vereinbaren, wenn
man – wie ich es zu halten pflegte – die
frühere Aufzeichnung vergleichend
heranzieht
und im Zweifelsfalle zitiert.
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