Und
noch eines fällt in diesem Zusammenhang auf. Es ist dies das auch
von anderen öfter beobachtete Phänomen, daß man sich bei
der Rückkehr immer wieder dabei ertappt, die Passanten in der einst
vertrauten Umgebung unwillkürlich und durchweg falsch zu
identifizieren, indem man
voreilig altbekannte
Züge in ihre Gesichter hineinliest.
Steht hinter diesem Identifizierungszwang
lediglich die an sich harmlose, nur übermächtige
und allzu großzügig identifizierende Freude des
„Wiedersehens”, die unserem gegenwärtigen
Ich entspringt? Oder drängt hier vielmehr etwas aus unserer
Tiefe empor, das, für uns überraschend, aus
seinem Erinnerungsreservoir
heraus alte Gesichtszüge bereitstellt und uns damit auch
für kurz täuschen kann, ja, das sich vielleicht dadurch
gegen das eigene Vergessenwerden wehrt? Wie auch immer, die
inzwischen stattgefundenen
Veränderungen werden von uns - oder in uns
- am liebsten verleugnet. Wir ertragen es offenbar nur
schwer, daß Personen, Dinge und Verhältnisse
unseres ehemaligen Lebensbereichs, selbst wenn
wir ihn einst mit großer Erleichterung oder auch
jugendlichem Hochmut verlassen hatten, in
unserer Abwesenheit gleichgültig
ihren eigenen Gang genommen
haben,
daß wir
also nachweislich entbehrlich oder ersetzbar
waren. Und damit deutet die Wiederbegegnung
mit unserer frühen Vergangenheit zugleich auf unser
Lebensende hin, auf die betrübliche
Vorahnung, daß wir vielleicht schon sehr bald keine
nennenswerte Spur mehr hinterlassen dürften.
*
Manchem
Proust-Leser mag die eine oder andere Erinnerungsempfindung und
Spekulation über ein
„Ich-Phantom” vertraut
vorkommen. Doch bieten
sich dem Zurückkommenden weniger
tröstliche Aussichten als dem Sicherinnernden
der Proustschen
,Recherche’
dar. Marcel Proust geht ja dabei
auch nicht vom Wiederaufsuchen der alten
Stätten
aus,
sondern setzt alles auf unvorhersehbare,
zufällig ausgelöste Sinnesempfindungen,
die dank ihrer Analogie mit unbewußt gespeicherten
Eindrücken das dazugehörige Erlebnis
wieder in uns heraufrufen, es in der Erinnerung
szenisch entfalten und dabei das gegenwärtige
Ich mit der glückseligen Erfahrung einer
angeblich zeitüberdauernden, das damalige Ich
wiedererweckenden Existenz zu belohnen
vermögen. Meine eigene Erfahrung hingegen ist
die, daß Selbstzerstörerisches dem droht, der nach langer Zeit
wieder bestimmte Stätten seiner
Lebensgeschichte aufsucht: Erst jetzt, da der immer nur
oberflächlich bewußte Zeitenabstand
sinnlich-emotional als etwas erlebt wird, das sich kalt und
gleichgültig von dem Zurückkehrenden
fortentwickelt hat, so daß diese Örtlichkeiten,
mögen sie auch noch wie intakt daliegen, ihm als
Lebensstätten entgleiten, erst jetzt kann
er dank
jener Irritationen, Phantomempfindungen und
Pseudoidentifikationen
die Erfahrung machen,
wie sehr er doch selbst noch im Innersten dazugehört. Und
daß er eben deshalb
auch mit
dem Verschwundenen weithin selber schon
verschwunden sein
müßte.
Nun mag man
einwenden, daß eine derartige Wiederkehr zu Stätten jugendlichen
Umbruchs eine Ausnahmesituation ist,
die zudem in besonderem Maße halluzinatorische
Wahrnehmungen begünstigt. Denn die unterschiedlichsten
Existenzmöglickkeiten,