RÜCK- UND AUSBLICK
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
menschlichen
Kultur radikal etwa durch ein neues genetisches
Design verabschieden und überdies ein Leben in
ethischer Indifferenz führen. Der anderen,
geistesgeschichtlich älteren Tendenz nach wäre dies
freilich eine Selbsttäuschung, da das Wesen
des Menschen insofern selber fundamental ethisch
bestimmt ist, als mit der Notwendigkeit zur
Selbstfestlegung und -veränderung
zugleich ein
Autonomiegebot gegeben
ist. Ihm zufolge wäre all das abzuwehren,
individuell und in Solidarität, was diese
existentielle Beweglichkeit über ein vertretbares Maß
hinaus einschränken würde. Als
geistige Hauptquelle solch fremdbestimmter
Einschränkungen begriff man in der abendländischen
Neuzeit immer deutlicher die christliche Theologie,
sofern sie den Menschen auf einen göttlichen Schöpfer
zurückbezog, der seine Kreaturen
ein für allemal festgelegt hätte und diese Festlegung
zudem über Gebote und Verbote zu
sanktionieren trachte. Die neuzeitliche
Emanzipation von den überlieferten
theologisch-dogmatischen
Wesensbestimmungen des Menschen
konnte sich zunächst nur im Rahmen einer selber
theologisch argumentierenden
Reflexion bewegen.
Pico
della Mirandola
war der erste, der – in noch jugendlicher
Unbefangenheit – diesen prekären Weg einschlug.
In seiner 1486/87 verfaßten Oratio (Rede über die Würde des
Menschen) ist es niemand anders als der göttliche Schöpfer
selbst, der den Menschen in die Verantwortung entläßt und ihm
dazu die Freiheit des Willens1
einräumt. Das
Wesen des Menschen
lasse sich zudem nicht in einer besonderen
ausgezeichneten Eigenschaft wie seiner
Intellektualität oder Geistigkeit
ansetzen, sondern einzig
in einer Nichtdeterminiertheit
oder Offenheit,
die es ihm erlaubt, zugleich an allen anderen
Lebewesen teilzuhaben. Als
ein Mikrokosmos kann er dem gesetzlich geregelten
Makrokosmos gestalterisch
gegenübertreten, kann dafür aber auch ins
Tierische oder in eine pflanzengleiche
Existenz „entarten”.2
Denn für Pico sollte der
Mensch als „Former und Bildner seiner selbst”
seinen höheren Möglichkeiten fol-
------------------------
1
Giovanni Pico della Mirandola, Oratio
de hominis dignitate/Rede über
die Würde des Menschen,
hg. und übersetzt von Gerd von der Gönna (Stuttgart
1997), S. 7f.
2
Oratio,
a.a.O., S. 9
- 43 -