BILDER FONTANES GEGEN DEN TOD. VOM VERSTECKSPIELEN ZUM KRYPTISCHEN ERZÄHLEN
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Musik
umfangen, wird für ihren eigenen Lebens- und Glaubenskampf über
eine
Staffel von Triptychon-Gebilden und opferaltargleichen Bauten
heidnischer Zeit
rituell
ausgeformt.
Vor
allem die Stunden, die beider Flucht vorausgehen, zeigen sie
unentschieden zwischen
christlicher Passion und heidnischem Opfergang:
Der in Lage und Gestalt alliterierend beschriebene "Wendenstein",
zu dem der Fährmann sie hinübersetzt, liegt erhöht wie ein Altar
oder Opferstein auf einem Erdwall und weist "halbverwitterte
Schriftzüge" auf, die an eine Entscheidungsschlacht zwischen
Christen und Wenden erinnern. Beide lassen sich auf diesem erhöhten
Stein nieder und Grete erzählt hier von ihrem jüngsten
Fluchttraum, bei dem ihr wie im Fluge so leicht gewesen wäre. Als
sie den Traum unter Berufung auf biblische Gestalten wie Joseph und
Maria zu rechtfertigen sucht, wendet ihr Gefährte ein, daß jene ein
Engel des Herrn geführt hätte und man sich als Christ in Geduld und
Feindesliebe üben müsse. Grete jedoch lehnt spontan und entschieden
diese christlichen Grundgebote für sich selber ab.
Die
Raumaufteilung beim "Jüngsten Gericht"
wiederholt sich für
die Höllenseite andeutungsweise in der nachfolgenden Nacht, als
Grete im Garten zu dem im Laubenversteck wartenden Valtin "von
der Mittelsteige her auf die Schattenseite" tritt, um ihn zur
Flucht zu drängen. Er ist auf der Stelle damit einverstanden: "Ich
bin ja doch eigentlich schuld … Und nun eile dich; denn mir brennt
der Boden unter den Füßen." Ihre Flucht bewerkstelligen sie
dann mit Hilfe der Gartenleiter.5
Auf
ihrem weiteren Lebensweg, der sie an Valtins Seite zu jenen
Puppenspielern führen soll, wird Grete in der Schwebe zwischen dem
beschützenden und dem strafenden oder gar gefallenen Engel gehalten.
Spielt sie im "Sündenfall" die
Rolle als Engel im Garten Eden (mit dem Flammenschwert!),
so tut sie dies unfreiwillig, wollte sie doch eigentlich weiter an
der Seite des sterbenden Freundes wachen. Um für Valtin dann
eine Grabstätte zu finden, muß sie sich mit Gewalt fast, da sie
keine Pforte finden konnte, durch die Hecke ins Nonnenkloster
zwängen. Dort freilich lebt das tröstliche Wort der alten Regine,
wonach Gretes katholische Mutter ein Engel gewesen wäre und Grete
ihr vorkäme wie "das blasse Bild von ihr,"6
in
der Gestalt des Schutzengels neu auf. Findet doch Grete an den
Gewölbekappen, im Hortus conclusus des Klosters "halbverblaßte
Bilder, von denen eines sie fesselte: Engelsgestalten,
die schwebend einen Toten trugen".7
Für
Valtins Beisetzung nutzt Fontane kühn und konsequent die kleine
dramaturgische Neuerung, daß zu jener Zeit Puppenspieler
zeitweilig in eigener Person ihr Repertoire aufführten. Denn was
schon mit dem Zauber des Hänflingsnestes und sodann,
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