DARSTELLUNGSTECHNIK
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ZUR DARSTELLUNGSTECHNIK
Meine Kindheitserinnerungen[1] zeichnete ich in einer chronologischen Anordnung auf, die so locker gehalten war, dass ich immer wieder zu thematischen Gruppierungen übergehen konnte. Viele beiläufige Szenen und Empfindungen nämlich wären ohne solche Sammelpunkte wie „Kinofilme und Kinos” oder „Kleines ABC der Süßigkeiten” überhaupt nicht mehr zur Erinnerung gekommen. Diese Anordnung hatte den Vorteil, dass sie frei von Verknüpfungszwängen war und vor allem den Fragmenten aus früher Kindheit am besten gerecht wurde. – Für die Großgliederung in Zeiträume hielt ich mich an unsere Wohnungswechsel.
Bei der Erinnerungsarbeit stützte ich mich immer auch auf Photographien. Sie waren meist ziemlich genau datierbar, ermöglichten in ihrem realistischen Detailreichtum allerdings oft kaum mehr als ein Wiedererkennen, das nur gelegentlich Erinnerungen im engeren Sinne freisetzen konnte. Den vielen fahlen, verwischten oder fragmentierten Erinnerungsbildern suchte ich in meiner Beschreibungssprache möglichst nahe zu bleiben, fand die Szenen aber oft schon mit Vokabular aus einer deutlich späteren Zeit belegt, und sei es nur mit einer so simplen technischen Bezeichnung wie „Ofenklappe”, die ich als knapp Dreijähriger vermutlich noch nicht kannte, aber in meinem Erinnerungsbild als solche, funktionell, vor Augen habe. In derartigen Fällen versuchte ich keine künstliche Naivität zu entwickeln, zumal solche sprachlichen Überarbeitungen durchaus erst in späterer Kindheit oder Jugend erfolgt sein dürften (allenfalls kennzeichnete ich ein mir damals zweifellos nicht geläufiges Wort durch Spitzklammerung).
Ein nützlicher Schutz hingegen vor gedankenlosen und unnötigen Anachronismen wie den abstrakten Bezeichnungen des Erwachsenen war der erwähnte Gebrauch des Präsens, das ebenso wie die wechselnden kindlichen Anredeformen für die Eltern oder wie ein schlichter Satzbau die Aufmerksamkeit auf die Perspektive des Kindes wachhielt. Ich mochte mir damit freilich noch so viel Mühe geben, so war es doch selbstverständlich immer der Erwachsene, der seine Erinnerungen beschrieb und auch die Beobachtungen des Kindes nun gemäß seinem weit entwickelteren Sprachgefühl vortrug.
Reflexionen über das Erinnerte oder auch ergänzende Bemerkungen Dritter hob ich von dem eigentlichen Erinnerungstext typographisch durch diese Kursivschrift deutlich ab.
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[1] Horst Fleig, Odyssee in die Kindheit. Selbstversuch zur Erinnerungsbeschreibung (2., stark veränderte Aufl. bei ‚Books on Demand’ (Norderstedt 2006); 263 S. Der vorliegende Essay resümiert die Vorüberlegungen und Nachbetrachtungen jener autobiographischen Aufzeichnungen.
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