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DOPPELGÄNGER  ALS  SELBSTERWEITERUNGEN. PROTESTE  GEGEN  DEN  TOD

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So kann ich denn diese dunklen, meine Lebensverluste verkörpernden Doppelgänger nunmehr paradoxerweise als Selbst-Erweiterungen be­grüßen. Sie stehen für die Schattenseite meiner Existenz, die ich mir in langer Erinnerungssuche wieder verdeutlicht habe, für die Umwege und krummen Touren ebenso wie für die subversiven Akte und meinen verschwiegen sich heranbildenden Wi­der­stand. Dass ich auf diesem Lebensweg vielen etwas schuldig blieb, wurde mir in späterer Jugend wohl bewusst, doch konnte ich es damals kaum bedauern, weil ich genug damit zu tun hatte, so viele Versäumnisse und Beschädigungen zu kompensieren. In die­sen – dann nicht mehr abgedruckten – Erinnerungen an die letzten Jugendjahre ging mir erst auf, wie vieles ich seinerzeit über­sehen hatte und wie vielen Personen ich nicht gerecht wurde, dass ich vor allem die Lehrer seit langem durch die Bank als Pau­ker zu verschreien liebte oder dass mir manche Kameraden aus bestimmten Gründen als anonymes oder gar feindliches Kol­lek­tiv verdächtig blieben.

 

Die heimlichen Doppelgänger aus meiner Kindheit definieren mich primär als Opfer, als (Hebbels) erschlagenen Heideknaben, der sich in dem Blutsonnenbild um das Elternhaus einstellt, sodann, in der Auraphantasie meines Gymnasiums, als Leidensgenossen der dort Beigesetzten. Allerdings sind es niemals ausschließlich Opferphantasien, vielmehr stellen sie zugleich einen phantastisch er­höhten Totenkult dar und sind immer auch PROTESTE GEGEN DEN TOD. Denn diese Toten werden beklagt, gerächt und geehrt oder leben gar heimlich weiter, nämlich wiedergängerisch in Gestalt der „Schatten tapfrer Goten” und vor allem des Herrn von Rib­beck, dieses unter dem Birnbaum daliegenden Scheintoten, der – wie Fontane selbst – Generationen zu überspringen und so sein Erbe weiterzugeben vermag. Tote, die dem damaligen Knaben auch Mut machten, auszuharren, die unerträglich gewordene Ge­gen­wart zu überdauern, indem man einfach nicht mehr mitmacht und alles schweigend in sich bewahrt – bis zur gegebenen Zeit.

    Und wie sich der Knabe unbewusst hin zu einem zeitüberschreitenden Totenkult flüchtete, so verkraftete er in der Regel auch die Verluste derer, die ihm lieb waren. Vom Tod der kleinen Spielfreundin „Gitti” erfuhr ich wohl erst Wochen später, da ich damals schon seit langem am Rhein wohnte und nur noch selten zu unserem Rondell bei der Großmutter zurückkam. Von den Spiel- und Schulkameraden „Mimi” und „Fränzi” wurde ich durch den Umzug zu Beginn des 3. Schuljahrs getrennt. Die Trennung von einem Mädchen, das ich in Wyk auf Föhr kennengelernt hatte, nahm ich dann als Achtjähriger zum ersten Mal nicht mehr so hin, sondern suchte ausdauernd nach ihr, wenn auch vergebens; und ließ mich erneut trennen, diesmal von Elke, als wir beide auf verschiedene höhere Schulen wechselten. Das sind die Verluste der Kindheit, die man als abhängiges Wesen nur in der Phantasie ausgleichen kann. Verluste, die ich als endgültige erst lang nach der Trennung zu begreifen begann, so erschütternd nun, dass

 

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