und
ihr Treiben ohne Beschönigung zur Sprache kommen sollte. Dergleichen
„mit dem Mantel der Nächstenliebe” zuzudecken suchen mögen
weiterhin diejenigen, die umso geübter im Wegsehen oder im Terror
stummer Gewaltanwendung sind und denen mein spezielle Verachtung
schon als Kind galt. Unversöhnt zu bleiben habe ich deshalb auch mit
den geisttötenden Religionsgemeinschaften
und ihren Vertretern (es gibt freilich hier wie auch etwa unter den
Göttern liebenswerte Ausnahmen wie Pallas oder Hermes, die ein
subversives Potential behielten). Unversöhnbar jedenfalls mit denen,
die an
der charakteristischen Mischung aus Gedanken- und Lieblosigkeit zu
erkennen
sind; mit diesen Bescheidwissern, Schnellentscheidern und all denen,
die sich mit ihren kleinen Tricks glauben „durchgesetzt” zu
haben, nur weil man sie erst einmal lässt oder meiden muss; mit
diesen lauten Stimmen, die von sich und ihrer Sache immerzu
überzeugt zu sein vorgeben, ebenso wie mit ihren ergebenen oder nur
zunickenden Helfern. Und nicht zu versöhnen schließlich mit den
eigenen doktrinären Impulsen.
*
Ich komme zurück
auf die
PHANTASIE
und ihre gewiss nicht
nur von mir gewaltig unterschätzte Rolle,
die sie sowohl bei der Einschätzung von jemandes Persönlichkeit
spielt als auch für den ganzen Komplex der eigenen
Erinnerungsbildung und Identität. Erinnerung, wie hier beschrieben,
ist immer über die bloß akkumulierenden oder konservierenden
Modelle sei es eines Gedächtnis- oder eines Zeitspeichers
hinaus. Zu sehen war, wie erfinderisch und konsequent das Kind selber
schon, bei aller Abhängigkeit, an der
Erinnerungsbildung mitwirkte. Intuitiv, reflexiv und in der Phantasie
strukturierte es immer bestimmter seine Eindrücke und
Reminiszenzen oder spielte sie assoziativ einander zu; und machte
neben den idealisierten Figuren aus Literatur und Film auch die
bewunderten Kameraden zu seinen Schutzgeistern, indem es sie erhöhte
und nach seinen Bedürfnissen gestaltete. Weshalb ihre
Identität, nach
der ich vorhin fragte, immer
auch idolhaft ist,
im
Innersten ungreifbar,
wie sakrosankt und nicht zu verifizieren. Gewiss
beruhte meine Wertschätzung durchweg auf Verhalten und Eigenart der
Person selbst, stattete sie jedoch mit einem inkalkulablen
Überschuss an Erwartungen und liebenswürdigen Eigenschaften aus.
Eine
Projektion, bei
der meine Phantasie einen so ungewöhnlich großen Spielraum hatte,
weil ich mich für so viele schweigsame, weithin unbestimmbare
Personen interessierte und ich selber primär die
schweigende, so manches in der Schwebe haltende Verständigung mit
ihnen suchte. Und dies muss ich noch jüngst, als der Zurückkommende,
gespürt haben,
hätte ich doch sonst nicht gerade
die nicht
wieder aufgesucht, die ich einst
besonders mochte, vor allem einige Mädchen. Eine Scheu also vor dem Wiedersehen, da ich die gleichsam
phantomhaften Dimensionen dieser Persönlichkeiten
ahnte, respektierte und mir zu erhalten suchte.