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Fundamental für meine frühkindliche Erinnerungsbildung: Blick vom Elternhaus auf die Rheinwiesen
                                                                                                                      (Foto vom 1.1.1994)

ZWEITER LEBENSRAUM: VON PHANTASIEBILDERN ÜBERWUCHERT

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Niederrhein widerfahren zu sein, wo ich im Alter von viereinhalb bis bis acht Jahren lebte (bis Januar 1953). Aus der elterlichen Wohnung konnte ich hier über die Straße und einen Drahtzaun hinweg sogleich in die Rheinwiesen treten. Nur noch eine mächtige, von uns manchmal erkletterte Weide gleich links jenseits des Zaunes ist mir als Blickfang und Ausgangspunkt der Orientierung zugleich auch szenisch präsent. Was wir aber in den Wiesen in Sichtweite des Hauses trieben, wird mir nicht mehr erinnerlich – solange jedenfalls nicht, als ich mir die Umgebung in dem spontan sich mir anbietenden, wiederum wie automatisch ablaufen­den visuellen Raumschematismus vergegenwärtige. Haben sich doch hierbei in meiner Erinnerung den Büschen und Bäumen der Wiesenränder Märchen- und Ro­man­sze­nen angelagert, die ich zum Teil erst lange nach meinem Wegzug aus dieser Rheinwiesenstraße kennenlernte:

Links vorne also der Kletterbaum, vor dem ich stehe und mit ziemlicher Bewunderung zu einem größeren Jungen hinaufblicke, der da oben einen Sitz ein­zurichten steht. Der Baum ist der erste in einer langen, mit Stacheldraht umzäunten Reihe, die tief in die Rheinwiesen hineinführt. Dort hinten, ein wenig nach rechts hin, steht in meiner Erinnerung ein vereinzelter hohler Baum, durch den in Andersens Märchen ,Das Feuerzeug’ der Soldat von der Hexe in die Erdhöhle hinabgeseilt wird <um 1953/54 gelesen?>. Auf gleicher Höhe und etwas weiter rechts davon schließt sich ein Wäldchen an, wo Schneeweiß­chen und Rosenrot mit dem Bären wohnen und an dessen äußerem Rand rechts die wilden Schwäne rauschend über ihre Schwester hinwegfliegen <um 1953?>. Noch weiter nach rechts in diesem Viertelkreisbogen, schon beinahe an seinem äußersten unteren Rand, nahe der Straße, erscheinen am Wie­sen­saum geheimnisvolle gemauerte Schächte <Versorgungströge für Vieh>, die mir schon in früher Jugend immer nur als ,Montezumas Schatz­kam­mer’ in den Sinn kommen <eine Assoziation aus Stuckens Roman ,Die weißen Götter’, den ich erst in Oberhausen-Holten um 1954/55 heim­lich las>.

So weit der hier bei mir jedes Mal im Uhrzeigersinn verlaufende visuelle Erinnerungsschematismus „Häusliche Rheinwiesen meiner Kindheit”. Wenn ich aus diesem Schematismus hinaustrete, fällt mir noch ein, dass ich um 1975, beim Lesen der Einsiedlerszene im Simplicius Simplicissimus, an die Umgebung von Baum und Wäldchen denken musste (Simplicius wird in einem hohlen Baum vom verwilderten Einsiedler aufgespürt, den er für einen Wolf hält). Und dass ich ebenfalls um 1975, als ich in Motte-Fouqués Undine von der verwunschenen Waldszenerie mit bärenhaften Wesen und Einsiedlern las, noch einmal an diese Rheinwiesen er­innert wurde.

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