Denn
wenn Munro für den Film eine „Geschichte” ablehnt, dann gewiß
nicht einfach deshalb, weil das Leben – wie er in Sintra erklärt
– auch keine Geschichte kennt, würde dies doch bedeuten, daß
sich der Film den Regeln des Lebens zu unterwerfen hätte. Das
wäre eine nicht minder kunstfeindliche Haltung als es die
eskapistische Tendenz im System Hollywood
ist. Dessen Klischees, gegen die vor allem die europäische
Kritik der Kulturindustrie so lange und
wenig erfolgreich Sturm lief, bedient nun Gordon während der
nächtlichen Fahrt durch Hollywood mit Ausdauer
und treibt dadurch Munro zu einer Klärung der eigenen
künstlerischen Position. In dieser
zeichnet sich ein fundamentales Dilemma der Filmästhetik überhaupt
ab. Daß Munro in seinen Anfängen „von Einstellung
zu Einstellung” arbeitete, um seinen (Spiel-)Filmen nur
ja nicht das Leben auszutreiben, erklärt sich daher,
daß er für die immer überraschende, sinnlich
sich darbietende Realität und das Eigenleben ihrer Szenerien
offen bleiben wollte. Er konnte in jener
nicht-narrativen Radikalität aber nicht einfach
weitermachen, denn ohne eine geistig
strukturierende „Geschichte” droht der Verfall an
eine Bildlichkeit, die nicht über sich und den Moment
hinausweist, nur noch narzißtisch an sich selber
Wohlgefallen findet und eine Einstellung
gleichgültig an die andere reiht. Es ist dies ein altes
Dilemma für den Filmemacher Wim Wenders selbst.15
Die „Angst”, die den zuletzt erzählerisch nur zu
versierten Munro am Abend vor dem Drehen überfiel, beschlich
einst auch den Regisseur von ,Im Lauf der Zeit’ (1976), doch
bei dem anderen Extrem. Bei seiner Adaptation von
Goethes ,Wilhelm Meister’ in
seinem Film ,Falsche Bewegung’ (1975)
hatte er die „Zwänge einer Geschichte” erfahren
und wollte sich nun an einem für alles bedingungslos
offenen „Reisefilm” versuchen. Auf diesen Versuch
spielt Munros Wort an, daß „das Leben vorbeigeht, im
Laufe der Zeit, ohne den Drang, Geschichten zu
werden” (32:06-16).
Wenders versuchte ja sogar, für seinen Film ,Im Lauf der Zeit’16
ohne Drehbuch auskommen und erlebte
dabei bald den Horror des Orientierungsverlustes, wußte von dem
einen Drehtag zum nächsten nicht mehr weiter und
suchte verzweifelt nach einem nur halbwegs plausiblen Fortgang.
Als
ein „Korsett”17
hinwiederum empfand er den Umstand, daß sein ,Hammett’
(1982) im Jahre 1928 spielte und ihm
die beim Drehen so wichtige Spontaneität kaum mehr erlaubte.
Dafür hat er, wie ich im nachfolgenden Essay
zeigen möchte, in diesem wohl am stärksten
unterschätzten seiner Filme eine
andere Werkdimension vertieft. Sein Thema nämlich, wie
jemand zu einem Schriftsteller wird und sich bei ihm
Realität und Fiktion verwirren,
erlaubte es Wenders selbst, sich in seiner eigenen
Filmsprache auf die Mehrbödigkeit der
erzählerischen Phantasie zu
konzentrieren und sich in literatur- und
filmgeschichtlichen Anspielungen zu ergehen, wie es nur bei
einem Kriminal- und Drehbuchautor wie
Hammett möglich war.
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