ZERSPRUNGENE IDENTITÄT
KLINGEMANN - ›NACHTWACHEN VON BONAVENTURA‹
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das
dürfte schon ein vergleichsweise breites Spektrum sein, ist doch
eine solche wortstilistische Probe leicht möglich, während das auf
vagen Verdacht hin ausgelöste Sammeln von Entsprechungen es
praktisch nicht zuläßt, zur Gegenprobe mehrere Mitfavoriten
und Unverdächtige auch nur im Auge zu behalten.
Somit ist die
Grundforderung an das Identifizieren eine doppelte; schon die Suche
nach dem Unbekannten muß wesentlich mehr Autoren einbeziehen können
und nachvollziehbar sein; muß zudem wegkommen von einem
Bestätigenwollen, das ebenso unerschöpflich ist wie nichtssagend
für das Problem der Identität. Wohl kann auch die Identifizierung
nicht verzichten auf den Aufweis sprachlicher und geistiger
Gleichförmigkeiten, hat diese aber als Frage nach dem »Selbst« in
die andere Qualität des Ausschließenden und Organisierenden zu
transformieren (jedenfalls scheint dies der Sinn von Identität zu
sein).
Wie
es vorschwebt: Zu bestimmen ist Identität immer nur im Widerspruch
zu anderen Positionen, die sich in ihrer Eigenart behaupten; und je
differenzierter dies Nichtidentische sich entgegensetzen läßt,
desto konkreter der Sinn oder Nichtsinn eines mit sich Identischen.
Dies Ausdifferenzieren des abstrakt-Nichtidentischen soll, als
Identifizieren, gradweise erfolgen, so, daß sich jede
Identitätsstufe in neuen Merkmalskomplexen abzuheben hat von gröber
sondierten. Darum nicht minder spezifischen –
wenn Identität
als Individuation statt eines Nebeneinanders von Merkmalen nur eine
durchgreifende, wie auch immer labile Organisation meinen kann –
und das ist eine
Grundeinsicht der neueren philosophischen ebenso wie der
psychoanalytischen Anthropologie –,
dann gibt es kein »Mehr-oder-minder-Identisch« der Eigenarten
selber, nur ein Mehr oder Minder an Bedeutung und
Erkenntniskraft. Dies ist wichtig für die erste Stufe der
Identifizierung, die den Kreis der zu Befragenden soweit wie nur eben
sinnvoll auseinanderziehen soll. Sich hier schon zum Vergleich auf
hochdifferenzierte Auffassungsweisen einzulassen, wäre so
zeitraubend, daß allenfalls wieder nur die Prominenz der Romantiker
in Frage käme. Um die Schriftsteller der Zeit en masse
einzubeziehen, müßten solche (variablen) Sprachmerkmale eruiert
werden, die extrem häufig auftreten und somit stilistische
Stichproben von vielleicht 10 Textseiten durchschnittlich erlauben,
dies nach Möglichkeit nicht nur auf Erzählprosa beschränkt.
Nun
sind derartige Merkmale nicht bekannt oder doch nicht als
unverkennbar gesichert. So ist die für Frank »bezeichnendste
Absonderlichkeit der Nachtwachen ..., die Häufigkeit der Endung e im
Dativ der Einzahl der starken (männlichen und sächlichen)
Hauptwörter schon beachtenswert, erlaubt jedoch nicht den raschen
Vergleich. Frank selbst gewinnt sein Zutrauen dazu über die dubiose
Voraussetzung, an Kunstwerken (der Sprache) gebe es etwas, »das
durch über der Willkür des Verfassers stehende allgemeine
Naturgesetze innerlich bestimmt ist. –
Das ist bei einer
Dichtung vor allem die äußerliche sprachliche Form, in der sich das
Sprachgefühl des Verfassers und die ganze Geschichte seiner
individuellen Bildung widerspiegeln muß«.
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