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Rück- und Ausblick
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Schock der Rückkehr
Erinnerungsautomatik
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Über das Vergessen
Biogr. Stimmigkeit
Proust. Doppelgänger
Selbsterweiterungen
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI GERMANISTICA

DOPPELGÄNGER  ALS  SELBSTERWEITERUNGEN

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leichter, wenn die Person für uns damals eher eine Randfigur war, die wir uns daher in der freien Erinnerung kaum mehr ver­ge­gen­wärtigen könnten. Solch harmlose Verkennungen sollte man eher als Ausdruck unserer Beharrlichkeit und Sehnsucht sowie un­serer Flexibilität und Toleranz schätzen lernen. Mitunter lassen sich im Nachhinein noch zusätzliche Kontextelemente aus­ma­chen, die sich bei der Wiederkehr dem altvertrauten Lebensraum anlagerten und dadurch die Zeiten verwirrend ineinander spie­gel­ten. Als ich so nach ungefähr einem Vierteljahrhundert in den Gesichtszügen eines Mädchens die meiner ehemaligen Tanz­stun­denpartnerin wiederfand, war es nicht das bloße Aussehen, das mich so frappiert haben musste, sondern der Umstand, dass dieses Mädchen zugleich in einer Tanzgruppe in derselben Stadt auftrat. Jüngst bediente mich in einer altbekannten Ho­tel­wirt­schaft eine Frau meines Alters, deren seltsame Art, wie stillvergnügt vor sich hin zu lächeln, sie mir zunehmend als eine Freundin mei­ner Jugendfreundin auszuweisen schien – bis ich im Gespräch erfuhr, dass die Frau erst vor Jahren aus Ostdeutschland her­über­ge­kommen war und ich sie bei einem Besuch im Vorjahr schon flüchtig dort gesehen haben musste. Auch bei dieser Be­geg­nung gab der Kontext den Ausschlag, diese Gastwirtschaft, wo wir „Pärchen” uns einst zum Eisessen und zu unseren Spa­zier­gän­gen trafen.


So können wir uns bei der Rückkehr nie sicher sein, die einst verlassene Lebensstätte mit unvoreingenommenem Blick zu be­trach­ten. Immer wieder scheint da jemand aus unserem Erinnerungsfundus gespenstisch im Hintergrunde zu harren und nur darauf zu warten, als weiterlebendes Wesen hervortreten zu dürfen. Und sprechen wir dann wirklich einmal einen einstigen Weg­gefährten, stellen sich in der Regel gleich die Zweifel ein, ob und inwiefern wir ihn noch als solchen vor uns haben. Ge­le­gent­lich hatte ich gar den Eindruck, einer Person, die ich nach Jahrzehnten nur für Stunden wiedersah, näher geblieben zu sein, als sie sich selbst. Eine ungeheuerliche Anmaßung, zu der ich mich noch tiefer berechtigt fühlte, wenn ich über den Betreffenden und unsere gemeinsame Vergangenheit schrieb und ihn dadurch vollends in meine Welt, Entwicklung und Wertschätzung hin­ein­zog. Das heißt ausgenommen dort, wo jemand selber etwas Außergewöhnliches entgegenzusetzen hatte, ein eigenes li­te­ra­ri­sches oder künstlerisches Werk, in das er, wie ich empfand, mitsamt den Erlebnissen seiner Kindheit und Ju­gend lange schon aus­ge­wan­dert sein musste. Hier scheute ich mich auch davor, den ehemaligen Weggefährten zu charakterisieren, wäre es doch kaum zu vermeiden gewesen, das, was er seitdem an Substanz gewonnen haben müsste, in seine Anfänge hineinzulesen. Und habe jetzt doch wiederum meine Zweifel, ob die ausgebreiteten geistigen und sozialen Erfahrungen den anderen noch in der Tiefenschichtung seiner Persönlichkeit zu verändern vermochten; sage mir, dass wohl jemandes künstlerisches Werk an Sub­stanz gewinnen kann, schwerlich aber noch dessen Urheber; dass neue Erfahrungen und Fertigkeiten allenfalls ausgleichen kön­nen, was wir nicht zuletzt durch unser Vergessen – aus Indifferenz und Gewohnheit – fortlaufend an Substanz verlieren.


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