RÜCK- UND AUSBLICK
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Auch Helmuth Plessner hält die metaphysische Fragerichtung, die komplementär zur bestürzenden Erfahrung der Kontingenz des Menschen und alles Seienden nach einer Letztbegründung und Absicherung sucht, als solche für unausweichlich. Schelers Antwort jedoch ist für ihn als geistige Orientierungssuche willkürlich und dogmatisch. Gegen alle überlieferten Autoritäten fordert er den geistigen Mut zu einer radikalen kathartischen „Selbstentsicherung”22 Die prinzipielle Ungesichertheit der Position des Menschen, seine Ort- und Heimatlosigkeit ist als Ausdruck
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dem „unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung geschichtlich und als das Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot (dasjenige, was gleichsam nur empirisch ausgesprochen war mit Pascals Ausdrücken: ,la nature est telle qu’elle marque partout un Dieu perdu et dans l’homme et hors de l’homme’”. G.W.F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden (,Theorie Werkausgabe’), Bd. 2: Jenaer Schriften 1801-1807 (Frankfurt/Main 1970), S. 432
Jenes Todesgefühl scheint sich in der Gegenwart weithin verflüchtigt zu haben, und auch die späteren hysterischen Reaktionen sind kaum noch beobachten. Ja, Nietzsches Hoffnung, „daß der Mensch sich so hoch erhebt, daß ihm die bisherigen höchsten Dinge, z. B. der bisherige Gottesglaube, kindlich-kindisch und rührend erscheinen,” wirkt inzwischen ausgesprochen kleinmütig, lernt man doch immer öfter aufgeweckte, religiös nicht indoktrinierte Kinder kennen, deren zart sich heranbildendes Weltbild bei aller überschießenden Phantasie keinen Platz mehr für ein mitwirkendes göttliches Wesen hat. (Das Nietzsche-Zitat entstammt seinen Nachgelassenen Fragmenten vom August – September 1885; in: Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 11, S. 627.)
22 „Nur auf dem ... Wege der bewußten Steigerung der destruktiven Argumente und ihrer systematischen Zuspitzung gegen alle bisher mitgeschleppten Sicherungen kann man das Fundament menschlichen Seins so exponieren und entsichern, daß die Destruktion eines angeblich fraglosen Eigenwesens des Menschen die Umkehr in die Entscheidung zur Menschlichkeit erzwingt. Diesen Mut zur rückhaltlosen Skepsis als einer Methode des Menschen, sich durch Selbstentsicherung wiederzufinden, muß die Philosophie aufbringen”. Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie (1937). Wiederabdruck in: Conditio humana. Gesammelte Schriften, Bd. VIII „Taschenbuch Wissenschaft” (Frankfurt/Main 2003), S. 33-51 (Zitat S. 46)
Zum Stichwort „Selbstentsicherung” vgl. den Forschungsbericht von Hans-Peter Krüger, Angst vor der Selbstentsicherung. Zum gegenwärtigen Streit um Helmuth Plessners philosophische Anthropologie. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44 (1996), Heft 2, S. 271-300
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