VII. Ersterben der Kamera
Draußen
ist es längst hell geworden. Das „Concord”-Wohnmobil
biegt wieder auf den Parkplatz bei dem Drive-in-Restaurant Ecke
Sunset Boulevard und La Brea Avenue ein; die Kamera fährt dabei
weiter auf das von Munro über Nacht verräterisch abgestellte „SAM
SP8”-Cabrio
zu. Und als die beiden sich zum Abschied vor einer
„Alibaba”-Reklamefigur umarmen, peitscht ein Schuss und wird
Gordon in den Rücken getroffen. Munro, vom Fallenden
hinuntergezogen, reißt im Knien seine Super-8-Kamera
hoch und richtet sich aus der Hocke allmählich auf. Suchend dreht er
sich mit der surrenden Kamera, die er wie eine schwere Handfeuerwaffe
vor sich hält, zu der einen und dann zur anderen Seite. Wie
solidarisch
verfolgt
dabei die Filmkamera den Rundblick aus der Perspektive seiner Super 8
mit.
Munro hat offenbar nichts entdeckt und senkt die Kamera. Es folgt ein
Schnitt zu dem daliegenden und von seinem Dackel beschnüffelte
Gordon und wieder und zurück zu Munro, den es Augenblicke später
trifft. Er bricht über Gordon zusammen, und die Filmkamera sucht in
schnellen Schwenks erneut die Umgebung ab, bis eine am Straßenrand
stehende schwarze Limousine zu erkennen ist. Wieder wird zu Munro
geschnitten, der noch im Liegen seine Kamera hochzuhalten sucht. Im
Umschnitt bekommt man aber nur in
einer verkippten
Super-8-Aufnahme
mit,
wie die schwarze Limousine losfährt und mit quietschenden Reifen
wendet. Denn Munros Kamera folgt ihr nicht mehr, sondern bleibt auf
den Asphalt gerichtet, der bald nur noch als Standbild festgehalten
wird – als
wäre das Auge dieser Kamera gebrochen.
Rasches Abblenden.
***
Fällt
Munro mit der Kamera in der Hand, so in der ironischen Schwebe
zwischen vorgezeichneter Bestimmung und faktischem Zufall oder
Versehen – in Hollywood am richtigen Ort, doch im falschen Moment
mit einer „falschen Bewegung”. Er fällt so kaum anders als der
von ihm in Sintra parodierte todessüchtige ,Hamlet’-Verehrer
Doc Holliday, der im ungünstigsten Moment von seinem Hustenanfall
erwischt wird und sich gleichwohl wie Munro noch einmal zum Schuss
hochrappelt. Wer die gewisse Ironie darin verkennt und überhaupt die
Differenz zwischen dem Regisseur Munro und Wenders so wie jene
zwischen Gordon und Coppola, kommt bald zu so fragwürdigen
Folgerungen wie R. Ph. Kolker und P. Beicken. In ihrem Filmbuch über
Wenders bringen sie immer wieder gute Beobachtungen zum Inhalt und
Gehalt, haben aber zu der genuin künstlerischen Dimension eines
Films enttäuschend wenig zu sagen. Sie scheinen so zu glauben, dass
Wenders den Tod Munros mit dem des argentinischen Kameramannes
Leonardo Henrichsen in Patricio Guzmáns ,Battle
of Chile’
(1975) gleichsetzen wollte, der während des ersten Putschversuchs
1973 unfreiwillig die eigene Liquidation durch das gezielt auf
Journalisten feuernde Militär dokumentierte. Und sie deuten
dementsprechend Munros Ende als ästhetische Kapitulation von Wenders
selbst: „His experience with Coppola must surely have convinced him
that the time of the art film and his previous life as a sensitive,
subjective filmmaker were over”. „After ,The
State of Things’,
Wenders begins a descent from modernism into melodrama and then into
the postmodern mode”.14)
Dagegen
möchte ich anschließend in meiner ,Hammett’-Analyse
zeigen, dass Wenders seine künstlerische Subjektivität und
Eigenwilligkeit sogar unter diesen Produktionsbedingungen zu
behaupten verstand, indem er sich auf seine weithin immer noch
verkannte kryptische Darstellungsweise konzentrierte.
In
dieser filmästhetischen Hinsicht lässt sich Munros Sterbeszene als
Variante
des „Todes der Kamera”
auffassen,
den Wenders schon 1969 in ,Alabama
(2000 Light Years)’
inszenierte.
Hier zeigt die Kameraarbeit dieselbe Empathie mit dem sterbenden
Helden, die aber schon damals auf keine mystische Identität mit dem
Filmemacher Wim Wenders hinauslief. Wobei ich nun auch anzumerken
habe, dass sich in jener frühen Gangsterfigur und auch in der
anderen in ,Same
Player Shoots Again’
(1968)
nach kryptischer Lesart eine Christusgestalt
abzeichnet.
Und dass man in Munro, dessen Tod sich im Standbild seiner
Super-8-Kamera widerspiegelt, eine verwandte Märtyrerfigur
erblicken
kann, die für ihre Überzeugung fällt. In den Umständen eher
zufällig zwar, dafür aber geistig in doppelter Frontstellung gegen
das krude Lebensrecht des Stärkeren (,The
Survivors’)
und gegen die von Hollywood propagierte Flucht aus dem Leben und der
Verantwortung.
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