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II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI GERMANISTICA

PSYCHOBIOLOGISCHE  HINTERGRÜNDE. GRENZEN  DES  ERINNERNS

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Psychobiologisch Sinn machen dürften sogar die vielen banalen und gleichgültig lassenden Gedächtnisinhalte, diese eigentlich irrelevant gewordenen Ortskenntnisse, all das Detailwissen um längst überholte technische Abläufe sowie Erinnerungen an x-beliebige Leute. Denn sie versichern uns unserer Dauer bei ständigem Wechsel in Raum und Zeit, unserer Beharrlichkeit trotz der immer wieder fälligen Loslösung und Distanzierung. Auch sie spielen hinüber ins Geistige, dokumentieren gewissermaßen noch in den Umrissen unsere Umgebung und den Radius unserer Aktivitäten und führen uns gar, gerade in ihrem ärgerlich banalen Grund­cha­rak­ter, die eigenen Abhängigkeiten mitsamt unseren desinteressierten und wenig inspirierten Reaktionen noch einmal vor Augen – ob nun als Stachel oder nur als Symptom der von uns vertanen Lebensmöglichkeiten.


Es gibt da allerdings eine letzte Grenze des Erinnerns und all seiner Selbst-Erweiterungen, eine unauflösbare und allgemeine Iden­ti­täts­pro­b­le­ma­tik: Ein jeder „besitzt” immer unendlich mehr Erfahrungen und Kenntnisse, als ihm je wieder bewusst werden könnten. In der Begegnung mit meinem wie verschütteten Ichphantom stand dies als Provokation und Ahnung zu Beginn dieser Recherche; und erscheint in verwandelter, selbstbewusster Gestalt an ihrem Ende wieder, als Einverständnis damit, dass – nach gehöriger Er­in­ne­rungs­ar­beit freilich – der Großteil dessen, was im Gedächtnis verwahrt ist, gleichwohl der willkürlichen Erinnerung un­zu­gäng­lich bleibt.

   Am drastischsten erfuhr ich es dort, wo etwas nur dank gewisser Hilfsmittel oder auch nur zufällig wieder heraufgerufen wur­de. Während ich mir in der freien Erinnerung an eines meiner Lieblingsmärchen, Andersens Seejungfrau, kaum noch das dürre Handlungsgerippe bewusst machen konnte oder von G. Sidneys Film Die drei Musketiere nur noch zwei Szenen anzugeben wusste, war beim Wiederlesen und -betrachten festzustellen, dass ich nach Jahrzehnten noch mit Dutzenden von Teil­for­mu­lie­run­gen und vielen Einzelszenen vertraut bin. Dass diese Diskrepanz aber für so ziemlich alles Erlebte gilt, belegten vor allem die zufällig erhalten gebliebenen Tagebuchaufzeichnungen des bald Zehnjährigen (von Ende Oktober 1954 bis Februar 1955). An kaum eine Handvoll der Geschehnisse, Aktionen oder Zeichnungen konnte ich mich frei erinnern, von denen ich beim Wiederlesen dann an die hundert wiedererkannte. Sie stehen nun für abertausende, die noch in mir schlummern, aber durch bloße Er­in­ne­rungs­an­stren­gung nie und nimmer wieder zu erwecken sind. Und wenn schon! Ein solches von Details übersättigtes Wissen um die eigene Vergangenheit suchte ich ja gar nicht; würde dies doch tendenziell auf eine Lebenswiederholung mitsamt all den Be­langlosigkeiten und Verkehrtheiten hinauslaufen, während es mir von Anfang an primär um Erweckung, Verständnis und Re­konstruktion dessen zu tun war, was von mir und anderen auf der Strecke geblieben war, welche Kompensationen in Frage ka­men und inwiefern schon in der unwillkürlichen Erinnerungsbildung selber neue Lebensmöglichkeiten angeboten wurden.


Horst Fleig

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