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Besuch als Korrektiv
Identitätsfragen
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Über das Vergessen
Biogr. Stimmigkeit
Proust. Doppelgänger
Selbsterweiterungen
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI GERMANISTICA

BIOGRAPHISCHE STIMMIGKEIT

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Weggefährten, mit dem er nach Jahrzehnten wieder ins Gespräch kommt, wird er sie trotz größerer Lücken und offensichtlicher Bevorzugung bestimmter Hauptstationen und Wendepunkte denn doch als einigermaßen konsequent anzuerkennen haben – auch wenn sie so manches Mal eine abweichende Verlaufsform hätte nehmen und schließlich zu einem befremdlich anderen Ergebnis führen können. Befremdlich aber wohl nur im dem eher äußerlichen Sinne des Berufslebens und -erfolges, schwerlich kaum je einmal im Sinne eines massiven charakterlichen Wandels, der mir nachgerade immer mehr als etwas Wundersames vorkommen will und selbst bei sogenannten Erweckungen, Bekehrungen, Sinnesänderungen und dergleichen im Regelfall nur eine Auf­blä­hung partieller Fähigkeiten der Persönlichkeit auf Kosten anderer sein dürfte, die dafür verkümmern müssen. Welch eine Leistung ist es nicht schon, den einen oder anderen eigenen Verhaltens- oder Charakterzug bloß zu dämpfen, sei es, um dort, wo es nicht an die ei­ge­ne Substanz geht, verträglicher zu werden, sei es, damit man „auf sich selbst nicht mehr hereinfällt”, wie Heimito von Do­derer es einmal als Kriterium für das Erwachsensein vorschlägt.[4]


Allen Erinnerungslücken und so vielen Mutmaßlichkeiten und Ungewissheiten zum Trotz scheint mithin so ziemlich jedermann dieses Grundvertrauen in die eigene innere Biographie zu setzen. Gerechtfertigt sein kann es freilich nur in unterschiedlichem Maße, hängt immer auch von dem Anspruch ab, den einer an sich und sein Erkenntnisverlangen stellt; ein Anspruch, der sei­ner­seits darin begründet sein dürfte, wie korrumpiert, behütet oder eben nicht man durch die eigene Kindheit und Jugend kam. Für den, der sich nicht sonderlich beschädigt fühlt, mag es ehrenwert sein, zu behaupten, gewisse wichtige Erfahrungen wie Grund­pfei­ler seiner Existenz in sich zu spüren und sich auf sie zu verlassen, ohne hier tiefer nachgraben zu wollen. Zu Beginn meiner Re­cher­che hätte mich diese Behauptung aufgebracht, mittlerweile aber kann ich sie akzeptieren, da ich mich da­von überzeugt ha­be, dass es wirklich Zeitgenossen gibt, die relativ ruhig und stetig ihren eigenen Weg gehen durften; und dass dazu einige der lie­bens­wür­digsten und auch tapfersten Individuen gehören. Was heißt, dass die von mir hier vorgelegten Erinnerungsanalysen nicht für ‚Kind­heit’ oder auch ,Jugend’ schlechthin stehen, sondern in vielem Ausdruck und Kompensation einer besonderen seelisch-gei­sti­gen Verwilderung sind.

   Beide Fragen, die nach der inneren Konsequenz des Lebensganges und die nach der Verlässlichkeit der Erinnerungen, konnten sich mir erst gegen Ende dieser Odyssee stellen. Vorher waren sie irrelevant, da ich diesem Abenteuer weder widerstehen konn­te noch wollte, angelockt nämlich durch die luftigen Erinnerungsbilder vor dem Einschlafen und dann, 1976, förmlich initiiert durch jenen Schock vor dem Klingelschild des ehemaligen Elternhauses, als ich dort auf ein verschollenes und mich anklagendes ‚Ich’-Phantom traf.

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[4]  Heimito von Doderer, Die Wasser­fälle von Slunj (8.Aufl. München 1994), S. 155


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