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Selbsterweiterungen
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI GERMANISTICA

PROBLEME UND FEHLER  BEI  DER  ERINNERUNGSBESCHREIBUNG

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Wie aber sollte ein Erinnerungsinhalt noch einer Kultivierung fähig sein? Muss er nicht das Schicksal der erinnerten Zeit teilen, die nun einmal in ihrer damaligen Gestalt nicht mehr existiert, nicht mehr umzuarbeiten und nur noch als ein inzwischen vielfach Überarbeitetes präsent ist? Ähnelt nicht jeder Versuch, in eine längst verlassene Lebenssituation erinnernd einzudringen, um ihre Atmosphäre und die eigene Stellung darin kennenzulernen, dem Illusionstrick, wenn man beim Betrachten eines alten Photos, das ein uns wohlvertrautes Zimmer zeigt, den fixen Photocharakter mit einer Lupe zu überlisten, die Distanz des Betrachters auf­zu­he­ben sucht, indem man in langsamer schwanker Lupenfahrt allmählich das Gefühl einer räumlichen Anwesenheit im einst Pho­to­gra­phierten gewinnen kann?


Wäre die Annäherung in der Erinnerung nur so einfach! Der Blick durch die Lupe vermag zwar auf Augenblicke die Rahmung des Bildes und die Geschlossenheit des Ensembles zu verdrängen und so den Details ein Eigenleben zu verleihen, den Charme des lange unberührt, ja seit eh und je unbeachtet Gebliebenen, lässt dabei aber das Bildmotiv sichtlich intakt und stellt sich nur in der Tiefenschärfe von Detail zu Detail neu ein. Beim Erinnern dagegen – besonders an die Kindheit – finden wir oft nur ver­schwom­me­ne, verwischte, trübe oder fast zur Unkenntlichkeit verblasste Bilder und Szenen in uns vor. Um sie festzuhalten und mitteilbar zu machen, ist statt der Lupe das unendlich komplexere Kunstmittel der Sprache einzusetzen, die das Erinnerungsbild und -emp­fin­den dabei massiv überarbeitet und durch Wortwahl und Syntax aus dem Verschwimmenden unversehens etwas Fest­um­ris­se­nes macht. Dieses wird sodann erneut dadurch verändert und unvorhersehbar zerstreut, dass es als sprachlich Formuliertes übersetzt werden muss in das individuelle Vorstellungsvermögen des Lesers – und zu den Lesern kann schon bald der Verfasser der Erinnerungsbeschreibung selbst gehören, ist er doch nicht selten geneigt, diesem schon Ausformulierten mehr zu trauen als seiner späteren Erinnerung, die genau so authentisch ist, aber eben schon stärker verblasst sein dürfte.


So weit ich sehe, gibt es noch keine Untersuchungen dazu, was bei der Wiedergabe von Erinnerungen zu beachten ist oder welche Beschreibungsformen erst noch zu entwickeln wären. In empirischen psychologischen Studien wird wohl gezielt etwa nach dem Ein­fluss der Stimmungen auf das Gedächtnis geforscht, nach Erinnerungsstrategien, den (Re-)Konstruktionsleistungen des Er­in­nerns und allenfalls nach gängigen sprachlichen Mustern bei der Erinnerungselaboration gefragt, nicht aber danach, was schon die mündliche oder schriftliche Wiedergabe aus dem Bewußtseinsinhalt ,Erinnerung’ macht und inwiefern deshalb jeder Befragte sich zuvor noch über seine Beschreibungssprache Klarheit zu verschaffen hätte. Auch die Autobiographien von Literaten sind hier durchweg


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