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 ZWEITER  LEBENSRAUM:  VON  PHANTASIEBILDERN  ÜBERWUCHERT

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Lektüreassoziationen begünstigt, daß dadurch alle Spielszenen bis auf weiteres verdrängt oder überwuchert wurden. Zu erklären sein dürfte dies zum einen durch die mir neue machtvolle Erfahrung des Lesenkönnens, bei der die Phantasie sich nicht allein auf die imaginäre Sphäre der Märchen und Romane beschränkte, sondern zudem auf die Wirklichkeit übergriff und sie partiell er­obern konnte. Und zum anderen dadurch, daß meine kindlichen Aktivitäten in den Wiesen zu gleichförmig verteilt waren, um an fest­umrissenen Plätzen erinnerlich zu werden. So weiß ich vage, wenn ich aus jenem Schematismus hinaustrete, daß wir Kin­der an dem hier und da wachsenden Sauerampfer zu naschen liebten, Sträußchen von (Schlüssel-)Blumen pflückten und auch den einen oder anderen Pilz vorsichtig nach Hause trugen, Beute, die an wechselnden Plätzen zu machen war und in ihrem Über­all-und-Nirgends dann leicht der szenischen Erinnerung entgleiten konnte.


So ist denn das reine, vom Schauplatz und seinen Objekten unabhängige Sicherinnern bei dieser Spielwiese an seine Grenzen gekommen. Vorfindbar geblieben ist kaum mehr als das viertelkreisförmige Orientierungsschema, das zwar mit dem Gefühl einer Urvertrautheit besetzt ist, doch keine eigentlichen Lebensspuren mehr enthält. Erneut stellt sich mir deshalb die – proustfremde – Fra­ge, ob nicht die Rückkehr an den Schauplatz wieder einiges von dem Vergessenen zu erwecken vermag. Was tut sich dabei? Schon 1976, gleich im Anschluss an die Doppelgänger-Erfahrung am Klingelschild, war ich auch weiter bis hin zu den Rheinwiesen ge­fah­ren und hatte mir anschließend einige Notizen gemacht (hier und da in kryptischer Verknappung, weshalb ich sie jetzt leicht überarbeitet zitiere):

Meine alte Vorstellung, ich müsste mich beim Herannahen an einen solch frühkindlichen Lebensraum eigentlich klein machen wie ein Kind und auf den Knien fortbewegen, spielt jetzt, bei der Künstlichkeit der Anfahrt im Auto, keine Rolle mehr. Im Nu bin ich bei den Rheinwiesen, stelle das Auto ab und suche nach unserem Haus, bis sich herausstellt, dass ich genau davor angehalten habe! Das Wiesenpanorama vom Haus her weiß ich noch auswendig.

    Am Kuhzaun mache ich sogleich wieder mit dem leichten elektrischen Schlag Bekanntschaft, zum erste Mal seit etwa 25 Jahren. In der Weide immer noch der riesige Kletternagel; dann die so nie wieder gesehenen, über das Gelände hin ver­streu­ten Kuhfladen, auch die merkwürdig kräftigen Disteln. Auf einmal, wie aus Andersens Märchen Der Tannenbaum auf­tau­chend, ein Häschen im Streckgalopp! Ich gehe an einer Kuhherde vorbei, die mir dann – auf der anderen Seite des Zaunes – erregt folgt.

   Bei den Märchenbäumen <...> Diese morschen Weiden knarren oder ächzen im Wind, daß mir angesichts der großen ab­ge­bro­che­nen Äste, die dort umherliegen, fröhlich beklommen wird! Zu den geheimnisvollen Schächten und zurück zur Straße.”

 

Bei dieser Rückkehr brachten sich wirklich einige Lebensmomente und Um­stän­de, die mir entfallen oder nicht mehr geläufig wa­ren, wieder zur Erinne­rung, der Schlag vom Elektrozaun, unser Kletternagel, die Kuhfladen, Di­steln und die da­vonjagenden Ha­sen.

 

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