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VI GERMANISTICA

MICHEL DE MONTAIGNE
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Wissens nämlich vom Guten, das alles andere Wissen beurteilen und steuern müsse18 und sich darin praktisch bewährt, dass es ei­nen jeden, als „das innere Wissen” um die eigene lautere Absicht, mit festerem Tritt auftreten lasse.19

 

Die Offenheit dieser Essais wird auf bemerkenswert dialektische Weise gesteigert. Zum einen befindet sich der beschriebene Haupt­ge­gen­stand, das Ich, in permanenter Veränderung. In seiner Entwicklung und Reaktionsweise unvorhersehbar, nimmt es ständig wech­sel­nde und zu mitunter widersprüchlichen Ergebnissen führende Perspektiven ein; und zwar nicht bloß, wie oft in Au­to­bio­gra­phien zu studieren, von einer Lebensphase zur anderen, sondern „von Tag zu Tag, von Minute zu Minute”, so dass Montaigne sagen kann: Ich schildere nicht das Sein, ich schildre das Unterwegssein”.20 Zum anderen wird das zu analysierende Ich durch die langwierige, die Einsichten formulierende und immer wieder ergänzende Niederschrift selber nachhaltig umgestaltet:

Indem ich dieses Porträt nach mir formte, mußte ich, um die wesentlichen Züge aus mir herauszuholen, derart oft die rechte Haltung einnehmen, daß das Modell selber erst feste Konturen darüber gewonnen, sich gleichsam selber erst ganz durch­ge­stal­tet hat. Indem ich mich für andre malte, legte ich klarere Farben in mir frei, als sie es ursprünglich waren. Ich habe mein Buch nicht mehr gemacht, als es mich gemacht hat: ein Buch, das mit seinem Autor wesensgleich ist”.21


Die akademische Philosophie wusste bis weit ins 20. Jahrhundert hinein mit diesem Denker nichts Rechtes anzufangen. Der Philo­so­phie­hi­sto­ri­ker Wilhelm Windelband registriert einigermaßen hilflos: „Was von philosophischen Gedanken in die ‚Essais’ eingesprengt ist, stammt aus dem Pyrrhonismus” (einer Spielart des ethischen und erkenntnistheoretischen Skeptizismus der Antike).22 Was Mon­taig­ne an dieser Denkhaltung fasziniert, ist ihre jedes endgültige Urteil immer wieder aufschiebende "epochē”, bei der er es selber al­ler­dings nicht belässt, da er ja bei aller Umsicht und Behutsamkeit bis zum (Wert-)Urteil vordringt.23

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18 „Jedes Wissen schadet dem, der kein Wissen vom Guten hat.” A.a.O., I 25, S. 220    19 II 5, S. 60

20 III 2, S.33 („Je ne peins pas l’être. Je peins le passage”)

21 II 18, S. 505 („… Me peignant pour autrui, je me suis peint en moi de couleurs plus nettes que n'étaient les miennes pre­mi­ères. Je n'ai pas plus fait mon livre que mon liv­re m'a fait, livre con­sub­stantiel à son auteur”)

22 Wilhelm Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Phi­lo­so­phie, hg. von Heinz Heim­soeth (15. Aufl. Tübingen 1957), S. 310

23 Zu Montaignes Hochschätzung der Urteilskraft vgl. Ian Maclean, Mon­taig­ne als Philosoph (München 1998), S. 70f. so­wie S. 47ff. zum „Pyrrhonismus” und des­sen Grenzen.

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