In den beiden ersten Jahren liegen unsere Klassenräume in dem Flurbereich gleich hinter dem „Sämann”-Portal. Hier haben wir ständig die Gedenktafel für die im 1. Weltkrieg gefallenen Lehrer und ehemaligen Schüler vor Augen. Mir unheimlich ist der Trog mit dem Wasserhahn, der wie rituell direkt unter dieser Totentafel angebracht wurde.
Trog und Hahn wurden wohl wenige Jahre nach dem Foto von Gerhard Dotzauer entfernt. Der derzeitige Schulleiter OStudDir. Uwe Bleckmann jedenfalls, der 1976 in die Sterkrader Sexta kam, konnte sich bei einer privaten Führung durch das Schulgebäude (2016) nicht mehr an sie erinnern.
In der Nähe der Gedenktafel strecke ich in der Sexta oder Quinta einen Schüler aus einer der Nachbarklassen, der mich mutwillig attackierte, mit einem Schlag in die Magengegend zu Boden. In den nachfolgenden Sekunden, bis er sich wieder aufrichten kann, wird mir bang und banger.
Durch das „Sämann”-Portal habe ich nur Schüler und Lehrer gehen sehen. Und überhaupt finden sich nur selten Besucher an unserer Schule ein. Zwei-, dreimal sehe ich, wie ein ehemaliger Schüler Jahre nach dem Abitur oder noch während seiner Zeit bei der Bundeswehr (in Uniform) beim Lehrerzimmer wartet oder sich schon auf dem Flur mit einem Lehrer unterhält, freudig angeregt, wie ich es sonst nie bei uns erlebt habe.
Nur bei der jährlichen Entlassungsfeier für die Abiturienten finden sich bei uns viele Gäste in der Aula ein: Eltern, Vertreter von Behörden und „Ehemalige”, die man 20 oder 30 Jahre nach ihrem Abitur wieder hierzu eingeladen hat. Diese in Grüppchen dastehenden Herren unterhalten sich eifriger als andere Gäste, und einen von ihnen sehe ich von meinem erhöhten Sitzplatz des Schulchors aus beim Mittelgang erwartungsvoll umherblickend sitzen, sicherlich nach alten Mitschülern Ausschau haltend. Eine Ansprache, die ihr Vertreter im schwarzen Anzug mit silberfarbener Krawatte hält, tut mir besonders wohl, denn sie unterstreicht den Abstand zum gegenwärtigen Schulbetrieb und lässt erahnen, dass auch meine eigene, in ihrer Unabsehbarkeit so lähmende Schulzeit revidierbar ist, dass sie nicht das letzte Wort behalten muss und irgendwann vielleicht mit freierem Blick betrachtet werden könnte.
Und wieder einmal singe ich schließlich im Schulchor <nach Felix Mendelssohn, Text von Hoffmann v. Fallersleben>:
„Nun zu guter Letzt/Geben wir Dir jetzt
Auf die Wandrung das Gelei-ei-te.
Wandre mutig fort, und an jedem Ort
Sei Dir Glück und Heil zur Sei-ei-te.
Wa-a-andern müssen wir auf Erden,
Unter Freuden und Beschwerden
Geht hinab, hinauf, unser Lebenslauf.
Das ist unser Los auf Er-er-den.”
Meiner Erinnerung nach kam ich auf dieser Anstalt nicht ein Mal mit fremden Schülern oder Lehrern zusammen, habe auch vor der Oberstufe nie mit einem Mädchen des Lyzeums, das nur ein paar hundert Meter von uns liegt, ein Wort gewechselt.
Nach Unterbindung des gemeinsamen „Schulgottesdienstes” 1959 wurde 1963 auch die gemeinsame Ausgabe der seit 1958 für Gymnasium und Lyzeum bestehenden „Schülerzeitschrift” ohne Angabe von Gründen aufgegeben und in unserem Zeitschrift nur noch vereinzelt ein „Schülerball” erwähnt.
Von der Sexta bis zum Abitur wurde von uns nicht ein einziges offizielles Klassenfoto gemacht! Unschätzbar deshalb die Privatfotos von Hans-Jürgen Heiermann und besonders die Karikaturen, die nach der „Mittleren Reife” Wim Wenders für unsere „Bierzeitung” gezeichnet hat.