Quelle: http://stud3.tuwien.ac.at/~e9625624/nbilder/kopf_m_t.gif www.mt.de/lokales/minden/10922117_Mindener_Herder-Gymnasium_startet_vor_50_Jahren.html?em_index_page=3&set_style=0
Lehrpersonal und Fächer
LATEIN
Latein
und nichts sonst gibt und von der Sexta bis zur Quarta unser
Klassenlehrer Doktor Siebert, ein hagerer und nahezu kahlköpfiger
Mann mit randloser Brille. Er ist um die vierzig, spricht leise,
mit sachlich-ernster Miene und wird erst entschiedener, wenn er
zugleich in eine wie vergnügliche, witzige und manchmal auch offen
ironische Sprechweise fällt, um sich über uns zu beklagen. Sein
Lieblingswort beim Tadeln ist „hanebüchen”. Immer wieder hält
er uns mangelnden Fleiß vor und verweist dabei wiederholt auf die
Schüler der deutschen Sowjetzone, die jetzt so unheimlich viel
lernten und uns darum später einmal überlegen sein würden.
Wir erfahren bald, dass er ein sogenannter Zonenflüchtling ist.
Laut
seiner wie üblich inzwischen freigegebenen Personalakte wurde Herr
Siebert im Juni 1943 Studienassessor an der Goetheschule in Dessau
und zum Wehrdienst eingezogen. Er promovierte noch 1943 über
‚Die fremdsprachlichen Ausdrücke im Werke Victor Hugos’. Vgl.
diese Links zu der Aktenquelle
und zur Dissertation
von
Herrn Siebert.
Meine
überaus misstrauische Mutter verdächtigte ihn Jahre später
irgendwelcher Spionage, als er sich öfter mit dem Fahrrad bei uns am
Bahnhof einfand und auf jemanden zu warten schien. Sicherlich lag es
auch daran und nicht nur an seiner so ähnlichen Statur und seinen im
Folgenden beschriebenen Tricks und Gebärden, dass Dr. Siebert für
mich insgeheim zu einem nahen Verwandten des maschinenhaften
Geistesmenschen Nick Knatterton
wurde. Dies ging mir allerdings erst bei einer genaueren
Analyse dieses herumspionierenden Comic-Detektivs auf.
Bei blöden,
auswendig zu lernenden Regeln bietet er uns in launiger Heiterkeit
manchmal eine „Eselsbrücke”
an und lässt uns eine solche
Lernhilfe einmal so eindrücklich absingen, dass ich sie
bis heute behalten habe: „a und ab, e ex und de, cum und sine, pro
und prae: mit Ablativ” (die vier letzten Silben in Basslage).
Seine Bemerkung: „Man muss nicht
alles wissen, aber
wissen, wo man es finden kann”, irritiert und erfreut mich dann,
ist mir doch, als sollte sich dieser Rat auch gegen den
Paukunterricht richten, von dem selbst er uns nicht befreien kann.
Einmal trägt er uns zur Erläuterung von „philosophus”
die folgende Definition
vor: „Ein Philosoph ist ein Denker, der über das Denken
nachdenkt.” Das klingt ja raffiniert! Es deutet auf einen Bereich
weit jenseits all unserer Lernstoffe hin, etwas Geistiges,
das bei ihm selbst zu verspüren ist, wenn es auch öfter spaßig
erscheint oder so unbeholfen wie bei seiner Geste, uns mit dünnen
schwächlichen Bewegungen vorzumachen, wie die Römer mit ihren
Schwertern hantiert hätten – wobei er uns wohl die Wendung
„gladiis
strictis” („mit
gezückten Schwertern”) erklärt. Zeremoniell und
ungekonnt zugleich kommen mir auch die Schläge vor, die er
ausnahmsweise einmal austeilt, als er auf einem Schulausflug
in ein Wäldchen unseren Mitschüler Klaus Certa, der verbotenerweise
einen Baum erklettert hatte, übers Knie legt.
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