Quellen: www.verein-klosterschule.de/ ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48)
Unser Schuldirektor
Unser „Direx” hat mich nie unterrichtet. Mag sein, dass er ein- oder zweimal eine Vertretungsstunde bei uns gab, doch wechselte ich meines Wissens in all den Jahren kein Wort mit ihm und hatte auch nicht das Gefühl, dass er von meiner Existenz gewusst hätte. Ich selber weiß wenig über ihn. Nach der Schulanmeldung erzählt mir Mutter, dass der Direktor noch recht jung und neu an diese Schule gekommen sei. Nur selten bekomme ich ihn dann zu Gesicht. Meist scheint er sich in dem hinter unserem „Sekretariat” gelegenen Zimmer aufzuhalten und ist nur gelegentlich beim mittäglichen Verlassen des Schulgebäudes zu erblicken. Grußlos eilt er vorüber und hält nur an, um einen von uns, den er in einer Flurecke vor dem Eulenportal beim Spielen überrascht, knapp und scharf zu tadeln. Von Zeit zu Zeit droht ein aufgebrachter Lehrer, den Störenfried beim nächsten Mal zum Direktor zu schicken, lässt es dann aber in der Regel lieber bleiben.
Herr Dr. Lorenz wohnt in einem Neubau gleich bei der Sterkrader Friedenskirche, in der unser evangelischer Schulgottesdienst stattfindet. Regelmäßig sitzt er dort in der ersten Reihe und hält bei einer Gelegenheit sogar die Predigt. Oder ist es nur eine Ansprache von der Kanzel herab?
Die religöse Grundierung unserer Anstalt ging mir erst in der Mittel und Oberstufe auf. So bemerkte ich nach einiger Zeit die parteiische Textauswahl unseres Englischlehrers Dr. Börgers, der einer katholischen Verbindung angehörte und einem Mitschüler ernstlich mit dem „Index” der verbotenen Bücher zusetzte; zudem betätigte er sich über Jahre hin als Zensor alias „Beratungslehrer” unserer Schülerzeitschrift. Auch sah ich zu meinem Befremden, dass einige katholische Mitschüler noch in der Oberstufe mit dem Aschermittwochskreuz auf der Stirn zum Unterricht erschienen.
Den pädagogischen Werdegang unseres dezidiert protestantischen Direktors skizzierte mein Mitschüler Udo Buhren in unserer Schülerzeitschrift ‚Der Kreisel’ (Nr. 1/1962) wie folgt: Der Lehrerberuf werde in der schlesischen Familie „unseres ‚Chefs’” schon seit sechs Generationen ausgeübt; nach dem Studium der Klassischen Philologie, der Klassischen Archäologie und Germanistik habe er 1938 seine „pädagogische Prüfung” abgelegt und sei noch im selben Jahr, mit 27, „Lehrer und Erzieher an der traditionsreichen Klosterschule in Roßleben” (unweit Weimar) geworden.
„Aus der Klosterschule ... in der er acht Jahre lebte, hat unser Direktor seine Einstellung zur SMV <„Schülermitverwaltung”> mitgebracht ... Ohne sie wäre das Internatsleben kaum denkbar gewesen. Sie arbeitete gut mit der Lehrerschaft zusammen. Auf die gleiche natürliche Weise soll sich die SMV an unserer Schule entwickeln, ohne Zwang. Die Lehrer sind bereit, jede Hilfe zu leisten, die von den Schülern gewünscht wird.”
Gewiss, dies sind Formulierungen meines Mitschülers Udo, und doch dokumentieren sie einen klösterlichen Anachronismus, der sich mit den restaurativen Tendenzen der westdeutschen Nachkriegszeit und den oft zu zu vernehmenden Beschwörungen eines christlich-abendländischen Kulturauftrags gut vertrug. Entgegen dem pauschalen Hilfsangebot versagte er jedoch krass bei so außergewöhnlichen Schüler wie den erwähnten beiden „Ausreißern” Lutz und Maas, die ihrer geistigen Unbotmäßigkeit wegen in Schwierigkeiten geraten waren und nach ihrer Flucht kurzerhand von unserer Schule verwiesen wurden.
- 26 -