Home
Impressum
RUTH FLEIGS GALERIE
SCHULKINDER MALEN
Bilderbuch Rob. Rabe
Kritzel-Kratzel
HORST FLEIGS TEXTE:
I  Philosophica
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
Alt-Walsum 1951-53
OB-Holten 1953-55
OB-Sterkrade 1955-65
VI GERMANISTICA
 
 


Mein letztes Wegstück zum Gymnasium (Foto vom Sommer 1991)

 Auf Seite 8 ist das Gegenstück dieses Fahrradweges zu sehen.


Aura meines Gymnasiums (Phantasiebilder der Gewalt)

 

Als ich im Geiste wieder meine alte Fahrradstrecke zur Schule verfolgte, war mir das letzte Wegstück, das auf den Park mit dem angrenzenden Gymnasium zuführte, zuerst nicht mehr erinnerlich. Es wurde überlagert vom Anblick einer großräumigen Siedlung, die dort erst viele Jahre spä­ter errichtet wurde und die ich seit meiner ersten Rückkehr 1976 öfter vor Augen hatte. Erst als ich eines Tages an einen gewissen aggressiven Tic dachte, den ich just in den Jahren um 1975/76 hatte, nämlich gelegentlich in Gedanken wie ein Infanterist oder Stoßtruppführer auszurufen: „Sprung auf! In den Nahkampf!” (oder so ähnlich), sah ich zugleich dieses verschollene Wegstück plötzlich wieder deutlich strukturiert vor mir.

   Beim Beschreiben des Wegstücks bemerkte ich sodann, dass sich hier eine weitere (auto-)aggressive Phantasie angesiedelt hatte, diesmal zu einem Lehrer: Wenn mir Lenz' Tragikomödie ‚Der Hofmeister’ und die satirisch kommentierte Selbstkastration dieses traurigen Helden, eines Haus­leh­rers, in den Sinn kommt, pflegt mir dasselbe Wegstück vorzuschweben.

   Und eine dritte aggressive Assoziation konnte sich noch viel später diesem Wegstück zugesellen. Ungefähr um 1990 hatte ich es wieder vor Augen, als ich ein Fernsehspiel über Heinrich Himmlers Vater sah, den Direktor des humanistischen Wittelsbacher-Gymnasiums München, der ei­nen seiner Schüler mit kaltem Sadismus fertigmachte.

P.S.: Es war dies der Fernsehfilm Der Vater eines Mörders’ (1985) mit Hans Korte in der Titelrolle. Als Vorlage diente die gleichnamige 1980 post­hum erschienene Erzählung von Alfred Andersch, der in dieser Unterrichtsstunde als Schüler zugegen war.

   

Für die Lokalisierung der Himmler-Assoziation und der anderen gewaltandrohenden Phantasiebilder gibt es für mich nur die eine plausible Er­klä­rung: Ich habe mich auf meinem alten Fahrradweg endlich meinem Gymnasium genähert, der Stätte so vieler Enttäuschungen, Peinlichkeiten und auch selbst­verschuldeter Leiden. Jetzt müsste ich nur noch in das letzte, kaum 100 Meter lange Wegstück am Saum des Parks einfahren, in den schmalen dunklen, von Baumkronen überdachten Aschenweg, der direkt auf das Gymnasium zuführt.

Ich fotografierte diesen Zugang schon Mitte der 1980er Jahre und notierte damals dazu, dass diese Wegstrecke in meiner Erinnerung für den Zeitraum der Sexta und Quinta stehe; und dass mir merkwürdigerweise bei diesem Anblick gar nicht beklommen zumute sei, obwohl es doch ein „Phantombild der Angst” sei. Immer noch ist dieser Anblick des Fotos von keinem Gefühl begleitet. Dabei steht er für mich weiterhin für Angst schlechthin, als enger dunkler Korridor, durch den hindurch ich mich ins Unvermeidliche zu begeben habe. Empfindungen hat man freilich bei ei­nem solchen tagtäglichen Eintritt besser keine mehr.

Zu meiner Überraschung fällt mir erst jetzt ein, daß sich ja um diesen Zugang zum Park und Gymnasium längst schon einige Todesbilder an­ge­la­gert haben, die dem Deutschunterricht des dort wohnenden Dr. Lennartz entstammen (vgl. S. 8): die Gräber des so kinderfreundlichen Herrn von Ribbeck und des Westgotenkönigs Alarich (als Pfadfinder war ich ein „Ostgote”), die Opferfahrt des John Maynard sowie die Morde an dem Hei­de­kna­ben und dem Dichter Ibykus. Diese Phantasiebilder, die meine Opferrolle bezeichneten und daraus eine Art Totenkult machten, waren zwei­fel­los die seelisch früheren und von einer solch magischen Gewalt, daß sie jene aggressiven Erwachsenenphantasien, die offenbar mit gewissen Leh­rern abzurechnen begannen, in ihren Bann ziehen und in ihrer unmittelbaren Nähe ansiedeln konnten.

 

- 25 -

ZurückWeiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/