ZUR-SPRACHE-BRINGEN UND ÜBERARBEITEN DES ERINNERTEN
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Erst
in der Überarbeitung konnte ich vielen Nuancen und Hintergründen
besonders der so oft visuell oder affektiv dominierten
Erinnerungsszenen annähernd gerecht werden. Was im einzelnen
bedeutete, dass die sich vordrängenden Orts- und
Lagebeziehungen (wie „links/rechts von
mir”), die anders als in der frühkindlichen Raumorientierung
keinen existentiellen Rang mehr haben, wieder abzubauen oder ganz
zurückzunehmen waren. Stark
zu dämpfen
war
vor allem ein gewisser dokumentarischer Eifer,
mit dem ich zweifellos jene Abhängigkeit zu kompensieren suchte, es
als Erinnernder so oft nur mit undeutlich bleibenden
Schattengebilden zu tun zu haben und mir die
Differenzierungen und Einfälle versagen zu müssen, die dem
Betrachter gegenwärtiger Lebensszenen oder auch dem
Romancier möglich wären. Deswegen und aus dem anderen Grunde, weil
ich das Vergangene gerade im Detail erretten wollte, klebte
ich zunächst einmal an unseren wechselnden Wohnungseinrichtungen,
beschrieb die Infrastruktur unseres jeweiligen
Wohngebiets oder fertigte von Dutzenden von Personen mehr oder minder
kenntliche und relevante Porträts an, wobei ich neben dem banalen
äußeren Erscheinungsbild auch die kleinen Tics oder Peinlichkeiten
notierte, die zur Sprache zu bringen ich mir sonst nie gestatten
würde. Warum aber sollten die Grundsätze einer schonenden Dezenz,
Höflichkeit und Großzügigkeit ihre Gültigkeit verlieren, sobald
jemand ‚nur’ aus der Distanz der Erinnerung betrachtet wird? Als
dürfte oder müsste man gar mit zunehmender zeitlicher und
lebensrelevanter Entfernung immer zudringlicher werden! Und so hatte
ich mich auch bei der Erinnerungsbeschreibung von Sachen und
Verhältnissen immer wieder davon zu überzeugen, dass – von den
frühkindlichen Erinnerungen abgesehen – eine
exemplarische,
dem Wesentlichen verpflichtete Behandlung
weiterhin die einzig sinnvolle ist, mag sie auch bei der ersten
Niederschrift, die das verschüttete Material allererst zur Kenntnis
bringen und sichten möchte, so noch nicht greifen können.
Was
nun aber die hermeneutisch vertrackte Frage nach dem betrifft, was
‚exemplarisch’ oder gar für die eigene Person ‚wesentlich’
wäre,
so lernte ich gerade in diesen Überarbeitungen, mich allmählich von
den mir gleichgültigen Personen und Sachen zu trennen; mich von
ihnen zu befreien, indem ich mich auch von mir selbst zu trennen
vermochte, von Situationen und Lebensphasen, in denen ich nicht
auf der Höhe war und entsprechend kümmerliche Wahrnehmungen in mir
zurücklassen musste. Diese Trennung
von einem Großteil meiner Aufzeichnungen
fiel mir immer
leichter, weil ich mich dadurch auf die unscheinbaren und versteckt
sich durchsetzenden Verhaltenszüge oder Phantasiebildungen
konzentrieren konnte, die in ihrer Tendenz ja immer noch undeutlich
genug sind. Noch jetzt, da ich mit meinem ‚Epilog’ langsam zum
Ende komme und zugleich noch mitten in einer weiteren Überarbeitung
des Haupttextes begriffen bin, spüre ich, wie
jede dieser mehrfach schon überarbeiteten Lebensszenen weiterhin in
mir rumort und
ich jede einzige, Zeile für Zeile, bei aller Erschöpfung, nochmals
würde umschreiben müssen, wäre ich noch einmal annähernd so
bestürzt und stellenweise so entgeistert wie nach dem ersten
Überlesen. Denn nicht
nur einen Text bringe ich hier
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