Fr. 12.9.08:
Von Helsinki aus
fahren wir zunächst in östlicher Richtung bis hinter Espoo weiter
und biegen dort auf die alte schwedische Königsstraße
südlich gen EKENÄS/TAMMISAARI ein. Bei der
Ausschilderung dieser Stadt steht diesmal der schwedische Name an
erster Stelle, ist sie doch die größte finnische
mit der Erstsprache Schwedisch, nämlich für über 80
Prozent der Einwohner. Daß sich im Altstadtviertel
„Barckens udde” noch hunderte von Holzhäusern aus dem
19. Jh. erhalten haben, erklärt sich auch aus dem ungewöhnlich
milden Osteeklima dieser „Eichenhalbinsel”
oder besser Landzunge („udde”), der ein großer
Schärengarten vorgelagert ist. –
Unterhalb der Holzkirche entdecken wir einen Pranger, der
bis ungefähr 1840 in Gebrauch war. In dem kleinen Stadion
am Rande der Altstadt sind soeben Kinder im Alter von ungefähr
vier bis fünfzehn beim (Vor-)Schulsport zugange.
Ausgestattet sind die Kleinen mit so noch nicht
gesehene winzigen Hürden und ebenso lustigen, großen
dartpfeilähnlichen Kunststoff-Speeren,
an denen sich soeben die Jüngsten üben. Doch werden
wir dann Zeuge eines hier nicht vermuteten
pädagogischen Exzesses, als ein nicht so
lauffreudiger 14-jähriger, der kurz vor der
Ziellinie abstoppte, minutenlang in der
Öffentlichkeit von seinem Sportlehrer
zusammengestaucht wird.
An
diese neuerliche Prangerszene mußte ich sogleich denken, als Tage
nach unserem Heimflug von dem erneuten Amoklauf
(nach 2006) eines finnischen
Schülers berichtet wird. Dies also in dem Land, das sich in den
PISA-Studien seit Jahren als so mustergültig
ausnimmt! Angeblich liegen solche Bluttaten nur
an einer bislang allzu laschen Waffengesetzgebung
und an lokaler polizeilicher Fehleinschätzung,
doch dürfte da ein verdeckter Zusammenhang mit
der soeben beobachteten abstoßenden
Disziplinierung bestehen. Schon im relativ
dichtbesiedelten Süd-Ost-Finnland wohnen viele Familien
außerhalb der Großstädte weit verstreut,
werden im Schulbus heran- und zurückgefahren und kommen erst an den
hier meist dunklen Nachmittagen oder schon
Abenden von ihren Gesamtschulen heim; manche Schulen
schließen erst um 20 Uhr ihre Pforten. Man kann sich leicht
vorstellen, was ein solch permanenter, kaum mehr ganz
aus dem Kopf zu schlagender Schulunterricht in der
Seele eines Schülers anrichten muß, der mit
bestimmten Lehrern überhaupt nicht klarkommt.
Bislang hörte man nur einseitig davon, daß viele
finnische Schüler an dem stark auf ihre
Persönlichkeit zugeschnittenen Unterricht
weit länger als überhaupt möglich teilnehmen
wollen.
Der
spektakuläre finnische PISA-Erfolg verdankt sich gewiß nicht
zuletzt dem Umstand, daß dieses Land wie kein zweites in der EU
nur wenige Migranten und Flüchtlinge außerhalb
des verwandten skandinavischen Raumes aufgenommen hat. Zudem
erhalten die wenigen fremdländischen Kinder
schon in der Vorschule 20 Wochenstunden
Sprachunterricht in Finnisch (was wir für Deutsch
dummerweise immer noch nicht hinbekommen haben).
So ist schon wegen der extrem günstigen
muttersprachlichen Ausgangslage mit
entsprechendem Problemverständnis für die
PISA-Aufgaben eigentlich keine faire
Vergleichsbasis mit Ländern wie Deutschland gegeben. In
dieser Hinsicht ist Finnlands Situation allenfalls mit
der privilegierten Englands oder
Frankreichs zu vergleichen, deren Zuwanderer aus den
Ex- Kolonialgebieten meist gut Englisch oder Französisch
sprechen.
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