Versäumte
ich im ersten Halbjahr der Oberprima laut Herbstzeugnis 95 Stunden,
also durchschnittlich einen Tag in der Woche, so steigerte ich mich
im zweiten Halbjahr erheblich und fehlte noch in den letzten Wochen
vor dem Schriftlichen Abitur laut Tagebuch mindestens an acht
Unterrichtstagen. Insofern diese
Abstinenz auch eine Form der Selbstbehauptung war,
wäre es unsinnig, all die versäumten Möglichkeiten zu beklagen,
vor allem die Lücken in den
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, die in der Regel schon
auf den Mittel- und Unterstufenschüler zurückgingen.
Damals konnte ich mich allein durch Schweigen und Arbeitsverweigerung
gewissen Paukern entziehen. Wenn ich vor deren konkreten
Anforderungen versagte und sicherlich auch einige andere Lehrer durch
mein Desinteresse enttäuschte, dann versagten sie darin, dass sie
mir so fundamentale, bei „Studienräten” eigentlich zu erwartende
Einstellungen wie die Freude am Erkennen und an einem
problembewussten Lernen über Jahre hin
nicht beizubringen verstanden.
Weit
krasser versagten sie vor den vielen anderen, die oft noch
ungünstigere Ausgangsbedingungen hatten und deren Eliminierung vom
Gymnasium ich schon in der Unterstufe als ungerecht und
mitunter als brutal empfand. Wie nur konnte man uns derart
ausdauernd, Jahr für Jahr, sitzenbleiben lassen, uns
bis ungefähr 1962 ohne nennenswerten öffentlichen Widerspruch so
erfolgreich von der Schule vertreiben, dass aus meiner „Sexta
a” nur ein einziger den direkten Weg bis zum Abitur schaffte,
das heißt ohne sitzengeblieben oder auf ein anderes Gymnasium
gewechselt zu sein? Gewiss, diese Lehrer waren weithin
während der Naziherrschaft ausgebildet worden oder hatten gar wie
der uns so verhasste „Trapper”
Franz
Pieczyk
eifrig
bei der NSDAP mitgemacht. Ausgebildet während dieser Zeit wurden
aber zugleich auch so vorzügliche Pädagogen wie Hans
Helmut von der Laden
(Jg.
1923) „Egon”
Hebel
(Jg.
1915) oder „Charly”
Meeßen
(Jg.
1910). Sie
respektierten uns, schenkten auch den vermeintlich schwächeren
Schülern ihre Aufmerksamkeit und förderten uns, selbst wenn sie für
uns Oberstufenschüler von so mancher Entwicklung abgeschnitten
zu sein schienen (von der Existenzphilosophie etwa oder von
Strömungen wie Surrealismus, Psychoanalyse und Kritische Theorie).
Ihre Freundlichkeit war zugleich sachgerecht, brachte uns ihr
Fach pädagogisch nahe, während jene schlagenden, sadistischen oder
nur überstrengen Lehrer sich hinter ihrem Fach
versteckten, indem sie so taten, als wäre es dessen eiserne
Disziplin, die sie uns zu spüren gaben. Unglückliche
Existenzen, die ihren Beruf verfehlt hatten und mitunter trotz ihres
Doktortitels keine tieferen Erfahrungen mit Wissenschaft und
Forschung gemacht haben konnten, wären sie sonst doch nicht so
kleinlich auf mechanische Reproduktionsleistungen aus gewesen.
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