Quelle: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S.27)
schlechtere Note kommt: Perplex und stumm nehmen wir beiden dies zur Kenntnis. Damit nicht genug, rächt sich „Trapper” noch dadurch, daß er mir in Latein nicht die Abschlußnote gibt, die ich nach meinen sonst durchweg triftigen Berechnungen verdient hätte. Dafür soll er einmal einen besonders schwachen Schüler durch eine unverdient günstige Zeugnisnote vor der Relegation vom Gymnasium bewahrt haben. – Ein Klassenkamerad, der des Morgens mit kleinem Abstand hinter „Trapper” zur Schule ging und so dessen regelmäßige Verproviantierung mit „Vivil”, „Faam” und ähnlich kaschierenden Hilfsmitteln mitbekam, wußte Jahrzehnte später von anderen unerbittlichen Verfolgungen zu berichten, noch Jahre über die „Mittlere Reife” hinaus. Ungerecht, heimtückisch und zudem sadistisch sei er gewesen, habe so gern mit den Fingerknöcheln gegen die Oberarmknochen oder in die Weichteile an deren Unterseite gestoßen.
Weit schlimmer noch, woran sich unser späterer ‚Kreisel’-Redakteur Winand Herzog (Jg. 1949) erinnert: „Er pflegte nicht selbst zu prügeln, sondern benannte einen Mitschüler, der den Delinquenten mit dem Lineal zu verprügeln hatte. Wer sich weigerte, was ich wohl mal erlebt hatte, durfte von dem ursprünglichen Delinquenten verprügelt werden.”
Als ich Jahrzehnte später sah, dass „Trapper” noch in der Nähe unseres Gymnasiums wohnte, hatte ich nicht die geringste Lust, mich wieder an ihn zu wenden und mich um ein besseres Verständnis seines Verhaltens zu bemühen. Wie auch sollte eine etwaige Alkoholkrankheit es entschuldigen können? So denn ab mit ihm in den Orkus, wo schon andere unvergessene Erwachsene als Todfeinde meiner Kindheit und Jugend auf ihn warten!
Sicherlich wurde sein Treiben von manch einem seiner Kollegen bemerkt und missbilligt. Doch war es einer von uns, Wim Wenders, der dies auch öffentlich ansprach, als er 1964 in unserer Schülerzeitschrift ein „Stimmungsbild” von unserer Schule zeichnete und in seinem Begleittext einen ungenannten, für uns Schüler aber kenntlichen Pauker ausrufen ließ: „Was ist denn Subjekt, Du Armleuchter?” (Siehe die Abbildung auf S. 64)
Monate vor dem Abitur tritt auch „Trapper” nach Jahren wieder auf dem Schulhof an mich heran und fragt mich wie verschwörerisch: „Was ist der Mensch?” Ich will es ihm zeigen und antworte mit einer Definition Sartres: „Eine Marmelade.” Er, verdutzt: „Wie?” Ich: „Ein ‚Zoon politikon’”. Und was denn dies bedeute? Ich, bei meiner ‚Marmelade’ bleibend, übersetze Aristoteles’ Wort entsprechend: „Ein Gesellschaftstier”. Er: „Ja, ein gesellschaftliches Lebewesen. Denke immer daran!” Oder so ähnlich. Und sogleich stürzt er wieder davon.
Worauf wollte er mit diesem Appell hinaus? Laut Tagebuch vermutete ich, daß er meinen Lebenslauf, den ich fürs Abitur abzufassen hatte, soeben gelesen hätte. In seinem Aufbau ist er mir nicht mehr erinnerlich, doch dürfte ich darin meinen Studienwunsch „Philosophie” genannt und mich außerdem zu meinem damaligen Credo einer den Menschen fundamental bestimmenden Egozentrik bekannt haben.
P.S. 2014: Laut seinen preußischen Personaldaten war der aus Oberschlesien stammende Franz Pieczyk Mitglied in den folgenden Organisationen der NSDAP: Hitlerjugend (Jungzugführer), SA, NS-Lehrerbund und NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt). – Für den Lateinunterricht, mit dem er uns so piesacken konnte, besaß er übrigens nur eine eingeschränkte Lehrbefähigung.
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