Quelle: Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1967
Als Dr. Siebert Jahre später einmal als Vertretungslehrer in Erdkunde einspringt, erstaunt er mich durch offenbar improvisierte Fragen und Bemerkungen, die auf die Grundlagen dieses Faches abzielen und von anderen Erdkundelehrern so noch nie zu hören waren.
In seinen letzten Jahren soll er an einer Hochschule unterrichtet haben. Vielleicht fühlte er sich dort eher an seinem Platz als bei uns Knaben. Für den einen oder anderen von uns aber war seine geistige Erscheinung wirklich unschätzbar und dürfte mir entscheidende erste Impulse zu meinem Philosophiestudium gegeben haben.
Obgleich sein Unterricht hochinteressant sein kann, finde ich mich bei Herrn Siebert und überhaupt auf diesem Gymnasium nach einiger Zeit bei den schlechteren Schülern wieder. Ich begreife dies nicht recht, bemerke nur, dass ich mich oft nicht richtig oder überhaupt nicht vorbereiten konnte. So bekommen wir im Fach Deutsch bald als Hausaufgabe auf, uns „Fahrkraft Nr. xy” anzuschauen. Ich verstehe nicht, was dies soll und verwundere mich etliche Male über bestimmte grammatische Fragen und Prüfungen. Bis ich darauf komme, dass dieses von dem Studienrat undeutlich ausgesprochene Wort „Paragraph” heißt und sich auf ein Übungsbuch bezieht, das ich mir noch nicht näher angeschaut oder gar noch nicht angeschafft habe.
Im 1. Halbjahreszeugnis habe ich lediglich in Deutsch die Note „gut” und in Lateinisch sowie in Mathematik und Biologie „mangelhaft”: „Die Versetzung ist gefährdet”, ist im Herbstzeugnis zu lesen; und in dem von 1957 gar „sehr gefährdet”, so dass ich denn zu Ostern 1958 tatsächlich die Quarta wiederholen muss.
Wie mir in später Jugend mein philosophischer Weggenosse Heinz-Jürgen Maas erzählte, hätte ihm sein einstiger Nachhilfelehrer Dr. Siebert erklärt, dass ich als Quartaner in meiner Entwicklung einfach noch nicht so weit gewesen wäre. An meiner retardierten Entwicklung, die ich in physisch-körperlicher Hinsicht immer wieder selbst registrierte, kann es allein nicht gelegen haben. Hinzu trat zunächst eine gewisse mentale Blockade, die ich dem elterlichen Erziehungsstil verdankte und die just in den für meine Versetzung kritischen Jahren, von 1956 bis '58, durch das paramilitärische und mich ganz in Beschlag nehmende Leben bei den Pfadfindern verstärkt wurde.
Sodann fehlten mir einfachste (arbeitstechnische) Voraussetzungen wie die Kenntnis des Wortes „Paragraph”; offenbar wurden wir von unserem Grundschulrektor, der uns so gern zu allen möglichen Gelegenheiten freigab, in mancher Hinsicht schlecht vorbereitet. Zudem erfuhr ich erst Jahre später, dass diese von mir als Paukanstalt empfundene Schule von ihren Lehrern als Elitegymnasium verstanden wurde, wegen ihrer rigorosen Ausmusterung und extrem hoher „Sitzenbleiber”-Quoten weit und breit gefürchtet war, so dass auch die besten Schüler regelmäßig Hilfe im Elternhaus oder anderswo bekamen. Ich dagegen erledigte meine Hausaufgaben jahrelang überwiegend in den Unterrichtspausen, durch hastiges „Abpinnen”! Ausschlaggebend aber war gewiss meine innere Ablehnung dieser Unterrichtsform.
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