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VI GERMANISTICA


Foto 1965: Unser Mathematik-, Physik- und Turnlehrer Karl Meeßen alias „Charly” (*1910 †2001)

Rechts: Ein fiktives Interview mit „Physik-CHARLY”
in der „Bierzeitung” unserer UII (1962).
Die Karikatur von Wim Wenders zeigt Herrn Meeßen und
Sohn „EBU” (Eberhard) nach Unterrichtsschluss.


Fotoquelle: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 26)


Herr Hebel muß auch andere Fachlehrer von meinen theoretischen Bemühungen in Kenntnis gesetzt haben. Auf einmal nämlich werde ich in allerlei kleine Dis­pu­te verwickelt, kommt unser Französischlehrer Hans-Walter Sundermann wiederholt auf den ‚Bovarysme’ bei Flaubert zurück, fragt in „Gemeinschaftskunde” der junge Studienassessor Karl-Josef Hamm nach meiner Ansicht über die Willensfreiheit und lauert mir gar der unsägliche „Trapper” en passant mit der Frage nach dem Wesen des Menschen auf.


Ebenso weist mich unser Mathematiklehrer Karl Meeßen von Zeit zu Zeit auf Gemeinsamkeiten zwischen der mathematischen und der philosophischen Ar­gu­men­ta­tion hin. Obgleich ich merke, dass er mich dadurch in meinem schwächsten Fach anzustacheln sucht, nehme ich ihm sein Interesse am veegleichenden theo­re­ti­schen Blick ab. Schon in der späten Mittelstufe, als er uns auch in Physik unterrichtet, distanziert er sich mit einer Selbstironie, die ich von Lehrern so über­haupt nicht kenne, vom eigenen fachlichen Trei­ben, speziell von seinen oft stockenden oder sprunghaften mathematischen Demonstrationen und gelegentlich miss­lin­gen­den naturwissenschaftlichen Experimenten. Dafür rühmt er die Überlegenheit des Theoretikers gegenüber der studienrätlichen Praxis und führt einmal na­he­zu demütig aus, wie der „kleine Gauß” die Rechenaufgabe seines Schulmeisters, alle Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, so genial gemeistert hätte.

   Mit seinen auch ironischen Hinweisen bringt es „Charly” irgendwie fertig, dass ich mich in den Monaten vor dem Abitur zum ersten Mal ausdauernd mit der Ma­te­rie befasse, bald einigen Spaß an der Mathematik finde und mich im Schriftlichen Abitur sogar zurückhalten muss, um nicht Gefahr zu laufen, etwa „gut” zu schreiben und deswegen in die Mündliche Prüfung zu müssen. Als ich ihn nach Verlesen der schriftlichen Prüfungsaufgaben frage, ob er mir zusagen könne, mich im Falle einer „befriedigenden” Ar­beit nicht der mündlichen Prüfung zu unterziehen, lacht er laut auf und verspricht es mir fest. So etwas wäre ihm noch nicht vorgekommen! Noch Minuten später, als wir schon schreiben, sehe ich ihn beim Auf- und Abgehen lächelnd den Kopf schütteln.


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