Fotoquelle: ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 26)
Herr
Hebel muß auch andere Fachlehrer von meinen theoretischen Bemühungen
in Kenntnis gesetzt haben. Auf einmal nämlich werde ich in allerlei
kleine Dispute verwickelt, kommt unser Französischlehrer
Hans-Walter Sundermann wiederholt auf den ‚Bovarysme’ bei
Flaubert zurück, fragt in „Gemeinschaftskunde” der junge
Studienassessor Karl-Josef Hamm nach meiner Ansicht über die
Willensfreiheit und lauert mir gar der unsägliche „Trapper” en
passant mit der Frage nach dem Wesen des Menschen auf.
Ebenso weist
mich unser Mathematiklehrer
Karl Meeßen von
Zeit zu Zeit auf Gemeinsamkeiten zwischen der mathematischen und der
philosophischen Argumentation hin. Obgleich ich
merke, dass er mich dadurch in meinem schwächsten Fach anzustacheln
sucht, nehme ich ihm sein Interesse am veegleichenden
theoretischen Blick ab. Schon in der späten
Mittelstufe, als er uns auch in Physik unterrichtet, distanziert er
sich mit einer Selbstironie,
die ich von Lehrern so überhaupt nicht kenne, vom eigenen
fachlichen Treiben, speziell von seinen oft stockenden oder
sprunghaften mathematischen Demonstrationen und gelegentlich
misslingenden naturwissenschaftlichen Experimenten.
Dafür rühmt er die Überlegenheit des Theoretikers gegenüber der
studienrätlichen Praxis und führt einmal nahezu demütig
aus, wie der „kleine Gauß” die Rechenaufgabe seines
Schulmeisters, alle Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, so genial
gemeistert hätte.
Mit
seinen auch ironischen Hinweisen bringt es „Charly” irgendwie
fertig, dass ich mich in den Monaten vor dem Abitur zum ersten Mal
ausdauernd mit der Materie befasse, bald einigen Spaß an
der Mathematik finde und mich im Schriftlichen Abitur sogar
zurückhalten muss, um nicht Gefahr zu laufen, etwa „gut” zu
schreiben und deswegen in die Mündliche Prüfung zu müssen. Als ich
ihn nach Verlesen der schriftlichen Prüfungsaufgaben frage, ob er
mir zusagen könne, mich im Falle einer „befriedigenden” Arbeit
nicht der mündlichen Prüfung zu unterziehen, lacht er laut auf und
verspricht es mir fest. So etwas wäre ihm noch nicht vorgekommen!
Noch Minuten später, als wir schon schreiben, sehe ich ihn beim Auf-
und Abgehen lächelnd den Kopf schütteln.
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