es einige Zeit lang einsehen kann. Meist ist es nur ein Teil der
Arbeit, aber das genügt schon, um eine ausreichende Note zu erhalten
oder mich bloß zu vergewissern, daß auch er eine obskure Stelle so
ähnlich wie ich aufgefaßt hat.
All dies läuft
denkbar diskret ab, nichts wird von Hand zu Hand gegeben, keine
Resultate werden zugeflüstert, allenfalls mache ich einmal leise auf
eine bestimmte Aufgabe oder Zusatzfrage aufmerksam. Aber nur ja nicht
heischend oder flehentlich, wie ich es leider bei manch anderem
registrieren mußte.
So
war selbst dieses von einigen Lehrern als abscheuliches Vergehen
hingestellte Delikt, das in
der Mittelstufe schätzungsweise von einem Drittel der Schüler
permanent begangen
wurde, durch ein Ethos der Rücksichtnahme und Selbstachtung
überformt. Auch ging mir im Lauf der Schulzeit auf, dass wir mit
unseren individuellen Betrugsmanövern einen größeren
institutionellen Betrug wettzumachen hatten. Dieser bestand darin,
dass andere Schüler systematisch von Eltern und bezahlten
Helfern, unter denen sich Studienräte aus der eigenen Klasse
befanden, nach Kräften gefördert wurden, während
unsereins, nicht einmal mit allen Büchern versehen und ausdrücklich
nur auf Widerruf an einer höheren Schule, sich allein
durchzuschlagen hatte. Was vor allem deshalb so schwerfiel, weil
uns an diesem Gymnasium ungefähr bis zur „Mittleren Reife” der
Sinn fürs Lernen nicht recht geweckt wurde und tausende von
Vorbereitungsstunden vorrangig auf das stumpfe verdummende
„Pauken” oder Auswendiglernen hin angelegt
waren. Also bloß keine Gewissensbisse Jahrzehnte später! Wir
betrogenen Betrüger waren vielmehr tüchtige Pragmatiker
und borgten uns das Nötige von Banknachbarn, die ja schließlich
durch unser Schulsystem schon begünstigt worden waren.
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