Quelle: https://brand-history.com/sujet/700/67877.jpg
ERDKUNDE
Hierin scheint uns also eine Zeitlang auch unser Deutschlehrer, Herr von der Laden, unterrichtet zu haben. Sodann, leider ebenfalls nur für kurze Zeit, kommt aus Bogotá der liebenswürdige Dr.(?) Leuschner, „LEO” genannt, zu uns. Er scheint um die 50 Jahre alt zu sein, hat einen leichten Akzent und ist für einen Lehrer ungewöhnlich gut gekleidet und frisiert. Uns Unterstufenschüler behandelt er höflich, ja respektvoll und geht manchmal in einen beinahe kameradschaftlichen Ton über, so wenn er den Sammlern unter uns fremdländische Briefmarken mitbringt. Gern erzählt er uns vom spanischen Stierkampf und verteidigt ihn mit stolzer Heftigkeit. Als er einmal den Klassenraum betritt, befinde ich mich gerade unter dem Lehrerpult, und bleibe auch, kühner geworden, darunter, bis er mit seinen Beinen an mich stößt. Er tadelt mich dafür, scheint mir aber nicht ernstlich böse zu sein.
Ich weiß nicht mehr, ob ich unter dem Pult soeben etwas gesucht hatte oder vor einem Wurfgeschoss in Deckung gegangen war. Wie auch immer, es entwickelte sich dann so etwas wie eine körpernahe gefährliche Begegnung in einer Arena.
Bei der Schilderung unseres Sportunterrichts fällt mir wieder ein, dass „Leo” eine Zeitlang auch unser Schwimmlehrer war. Statt uns Anfänger im Nichtschwimmerbecken nichtsnutzige Übungen machen zu lassen, erlaubt er uns dort Wasserballspiele.
*
Zwei oder drei Jahre lang ist Studienassessor Gerd(?) Hemrich alias „HAMMER” unser Erdkundelehrer, ein schon ergrauter dicklicher und rotbäckiger Mann um die Mitte 30, der oft in einem rotbraunen Ledermantel erscheint. Einer der Studienräte erklärt uns einmal, daß „Kollege Hemrich”, der wieder einmal gar nicht mit uns zu Rande kam, als Soldat an der Ostfront – vor Stalingrad? – Schlimmes durchgemacht habe. „Hammer” selber teilt uns dazu nur enthusiastisch mit, daß sein Frontabschnitt an dem Tag, als Hitler ihn aufsuchte, „wie eine Eins” allen Angriffen standgehalten hätte.
Im Unterricht legt er sich immer wieder ungeschickt mit einzelnen Schülern an, blickt sie misstrauisch, feindselig oder gar hasserfüllt an und trägt sie oft ins Klassenbuch ein (einige meiner Zeugnisse verbuchen jeweils mehrere „Tadel”). Eins ums andre Mal zückt er sein Notizbüchlein und verkündet genüsslich seine Rachenote. Ein solches Verhalten kenne ich eigentlich nur von anderen Kindern.
Zwei Klassenkameraden entsannen sich noch Jahrzehnte später eines kleinen „sadistischen Tricks” dieses Pädagogen: Halb versteckt hielt er einen Rohrstock im Jackenärmel, den er dann, um einem Schüler einen Stoß zu versetzen, rasch herausfahren ließ. Mir dämmert so etwas, doch habe ich es selbst wohl nie erleiden müssen.
Den nach uns folgenden Jahrgängen erging es mit Herrn Hemrich nicht besser, so schrieb mir jüngst Winand Herzog, der 1959 in die Sexta kam und zuletzt Chefredakteur unserer Schülerzeitschrift war: „Da er die Gewohnheit hatte, immer die Hand in der rechten Hosentasche zu halten, entwickelte sich bei uns das Gerücht, aus Angst vor den Schülern hätte er in der Hosentasche einen Revolver.
Seine Strafmittel waren vorzugsweise 'Bildbeschreibungen' aus dem Geschichtsbuch ... Bei schlimmeren Delikten pflegte er folgendes zur Auswahl zu geben: 'Was willst du - eine Eintragung ins Klassenbuch, Schinkenröllchen, Nüssli oder ***?' Wie er das dritte bezeichnete, ist mir im Moment entfallen, gemeint war mit dem ersten, das beidseitige Rollen/Rubbeln der Ohren, das zweite waren Kopfnüsse und das dritte war Kneifen in die Brust. Entschied man sich für die Eintragung ins Klassenbuch, pflegte er zu sagen: 'Waaas? Feige sind wir auch noch?!?' und dann eine der Körperstrafen zu vollziehen.”
Im Zuge oder in Vorbereitung seiner Strafaktionen umschlich Herr Hemrich gern unsere Bankreihen. Ein weiterer Schüler eines jüngeren Gymnasialjahrgangs schilderte mir zuletzt ein ziemlich drastisches Gegenmittel seiner Klassenkameraden: „Wir malten dann die Ecken der Bänke mit Farbe an, die sich als ein einheitlicher Strich um Seine Tweedjacke ausbreitete.“ Auch dieses Detail kommt mir nachgerade vertraut vor, doch kannte ich es vielleicht nur vom Hörensagen.
Einige Gymnasiasten, zu denen auch ich gehöre, machen sich kaum verhohlen über „Hammer” lustig, geben ihm spöttisch-dreiste Antworten und erlauben sich Dinge, die bei anderen Lehrern undenkbar wären. So werfen wir ihm und seinem Auto, das er mit einer lächerlich unpraktischen Plane abzudecken pflegt, Schneebälle nach, wenn er im Schleichtempo nach Hause, das heißt zurück zu seiner Mutter fährt. Als er mit einem neuen Motorroller daherkommt, wird ihm bald hinterhergerufen: „Ist der Roller bezahlt?” (Melodie nach der bekannten Erinnerung an die Rundfunkgebühr). Auch der oben genannte Slogan einer Brandwein-Werbung wird gern in „Hammers” Nähe zitiert.
Herr Hemrich wurde 1959 zum Studienrat ernannt und wechselte Mitte 1963 von unserer Schule an das Max-Planck-Gymnasium in Duisburg-Meiderich.
- 12 -