Zu
jedem meiner Klassenkameraden konnte ich noch etwas in Erinnerung
rufen,
auch wenn in der Regel nur wenige Zeilen zusammenkamen. Bald aber
ging mir auf, dass viele Eindrücke stark durch das abgebildete
Viertklassfoto
geprägt
waren, das ich seit Jahrzehnten schon öfter betrachtet, ja
geradezu studiert hatte.
Wie
suggestiv
Mimik und Körperhaltung auch einer bloßen Momentaufnahme
sein
können und wie sie sich in uns fortentwickeln, zeigte sich vor
allem für Ulrich, von dem ich mich damals bei unserem Rektor
denunziert fühlte. Aus der vermeintlich freien Erinnerung sprach ich
von dem „finsteren Verräter” und schrieb unter
anderem: „Er trägt eine dunkle Kordjacke mit Reißverschluss und
lässt sein dunkles Haar tief ins Gesicht fallen ... Seine
(wasser-?)hellen Augen mag ich gar nicht, sie scheinen auch meinem
Blick auszuweichen.” Genau so meidet er auf dem Foto den Blick in
die Kamera. Und sicherlich wurde seine finstere
Aura
durch seine Position auf dem Foto verstärkt, wo er gleichsam als
tückischer Hagen von Tronje schräg hinter mir steht, der ich
zudem wie im Schlaf – mutwillig? – die Augen geschlossen halte.
Bei der schriftlichen Erinnerung an meine Klassenkameraden
räumte ich ihm dann unwillkürlich den letzten Platz ein, das heißt
die letzte Stelle unter den von mir zuerst charakterisierten Jungen,
eine Stelle, die so zugleich zu einer Übergangsposition hin zu den
Mädchen wurde, von denen er mich durch jene Bloßstellung weiterhin
zu isolieren drohte.
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