Über
Alpine kommen wir bald wieder zurück nach Marathon und nehmen
nördlich vom Big Bend die U.S. Route 90 nach Del Rio. Die
Big-Bend-Region selbst gilt - um 2000 - als die
durchlässigste Grenzregion der Staaten. An drei Fährstationen,
die mexikanischen Dörfern gegenüberliegen,
kann man sich ohne weitere Kontrollen in einem Boot über den
Rio Grande rudern lassen, indem man sich einfach durch
Zuruf jenseits bemerkbar macht. Einen Paß sollte
man freilich für alle Fälle bei sich führen. Von
mobilen Grenzkontrollen hatten wir gelesen, aber auf
dem Hinweg nichts davon bemerkt. Erst jetzt, gut 50
Meilen nördlich vom Rio Grande sehen wir auf einer
Nebenstraße einen Checkpoint für „Immigrants”
vor uns. Wie ausgeschildert, reduziere
ich wiederholt die Geschwindigkeit und fahre zuletzt
im Schritt-Tempo auf einen Polizisten zu und sodann, als dieser
keine Reaktion zeigt, langsam weiter. Im
Rückspiegel sehe ich Sekunden später, daß er wie
fassungslos die Hände auf die Oberschenkel schlägt
und sich seinen Kollegen im bereitstehenden
Streifenwagen zudreht. Auf der Stelle wende ich
nun und erkläre ihm dann, der Ansicht gewesen
zu sein, passieren zu dürfen, zumal wir ja keine
„Immigranten” wären. Er nimmt dies
kommentarlos hin und überprüft nur noch
gründlich unsere Papiere.
In den nächsten
Stunden geht es durch Gebirgslandschaften von 1200 Metern Höhe
wiederholt merklich bergab, bis wir eine gute Stunde vor Del Rio
und kurz vor dem Pecos River zur Ortschaft Langtry
kommen. Sie wurde uns schon zig
Meilen vorher durch einen privaten Rundfunksender
als Wirkungsstätte des legendären „Judge Roy Bean”
angekündigt. Ohnehin wollten wir wegen des
charmanten Westerns von William Wyler
(‘Der
Westerner’,
1940) hier einen Zwischenstop einlegen. Im Film spielt Walter
Brennan den
Saloonbesitzer und selbstherrlichen (ehemaligen)
Friedensrichter Roy Bean und Gary Cooper einen
des Pferdediebstahls beschuldigten Fremden, der seinen Kopf
gewitzt aus der Schlinge zieht, indem er die von Bean
glühend verehrte Schauspielerin Lillie
Langtry als seine gute Bekannte ausgibt. In Abwandlung des
landesweit bekannten Spruches „West of the
Pecos there is no law, west of El Paso, there is no God”
bezeichnete sich der historische Roy Bean selbst als „The Law West
of the Pecos” und beugte öfter das Recht mit
skurrilen bis skrupellosen Urteilen. Die
Verhandlungen fanden nach Möglichkeit
auf der Veranda des Saloons statt; da er über keine
Gefängniszelle verfügte, wurde der für
schuldig Befundene jedesmal mit einer
Geldstrafe (sowie einer „Runde für
alle”) belegt und blieben Betrunkene bis zu
ihrer Ernüchterung an einen Baum vor dem Saloon
angekettet. In den Staaten bekannt machte ihn 1896 die
Umgehung des texanischen Boxkampf-Verbots,
indem er den Weltmeisterschaftskampf im
Schwergewicht auf einer schon zu Mexiko gehörenden
großen Sandbank im Rio Grande austragen
ließ (siehe dazu
http://boxrec.com/media/index.php/Peter_Maher_vs._Bob_Fitzsimmons_%282nd_meeting%29).
Seine rührende
Verehrung für Lillie Langtry ging so weit, daß er seinen Saloon
nach ihrem Geburtsort „The Jersey Lilly” taufte und für
ihren ersehnten Besuch schon ein als „Opera House”
bezeichnetes Gebäude gegenüber dem Saloon erbauen ließ.
Seine Einladung nach Langtry nahm sie erst an, als er
wahrheitswidrig behauptete, die Stadt nach ihr benannt
zu haben. Monate vor dem Besuch starb Bean an den
Folgen eines Alkoholexzesses.
Wir
schauen uns die Ausstellung (mit Dioramaschau) im wohlerhaltenen
Saloon und das von Bean bewohnte „Opera House” an.
Sehenswert ist auch der nebenan angelegte große
Kakteengarten.
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