Quelle: www.troop19.org/gcnp42k/GCsat_pix.jpg
Für
den Südrand des Grand Canyon nehmen wir nun vom Hoover-Staudamm her
die Route über Kingman und Williams. Von hier aus kann man für die
letzten 100 Kilometer seit kurzem wieder mit der Eisenbahn zum Canyon
anreisen, wie es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts
üblich war. Unser kleines Hotel liegt auf 2100 Metern in einem
Pinien- und Wacholderwäldchen, das nur gut 500
Meter vom Südrand entfernt ist. Diese „Yavapai-Lodge”,
benannt nach einem mit den Apachen verwandten Indianerstamm,
ist angemessen bescheiden, kommt uns allerdings deutlich teurer zu
stehen als eine Übernachtung im „Caesars
Palace” oder „Westin Bonaventure” in Los Angeles. Bald nach
unserer Ankunft zeigen sich nahe der Lodge einige
Maultierhirsche, die so wegen ihrer auffällig großen Ohren heißen
(vgl. das zum Eselhasen „Jack
Rabbit” Bemerkte). Die beschwingte,
aufbruchslustige Stimmung ringsum kenne ich so ähnlich nur von
großen Pfadfinderlagern her.
In den
folgenden Stunden und auch wieder am nächsten Morgen laufen wir am
Fußweg des Südrands entlang. Einen Abstieg hatten
wir uns schon bei der Reiseplanung aus dem Kopf geschlagen; er soll
rund 7 Stunden dauern, wobei zur Talsohle hin die
Hitze ständig zunimmt und in dieser Jahreszeit bis zu 49° Celsius
betragen kann. So gehen wir jetzt einfach los und halten an
einigen Aussichtspunkten wie dem Mather Point, von dem aus man
ein Viertel des Canyons übersehen kann; auf der
gegenüberliegende Seite liegt in 16 km Entfernung der Nordrand
des Canyons. Der Anblick dieser Canyonlandschaft
ist nicht leicht zu begreifen. Durch all die schwärmerischen
nichtssagenden Berichte und Photos wurde diese
Sehenswürdigkeit ja beinahe unkenntlich gemacht.
Um wieder Abstand zu den Bildklischees gewinnen, guckt man sich am
besten vorher die Weltraumbilder der NASA an. Sie lassen unter
anderem erkennen, daß es den Einen Großen Canyon so nicht
gibt, sondern daß es ein verwirrendes verrunzeltes Geflecht aus dem
gut 430 km langen Hauptcanyon und vielen Nebencanyons
des Colorado River ist, zu dem noch der Little Colorado River
mit seinem gewaltigen Mündungscanyon hinzustößt.
Warum erweckt das runzlige Antlitz eines uralten Menschen
nicht einen ähnlich erschütternden Eindruck wie den,
der dem Grand Canyon immer wieder nachsagt wird, daß man
nämlich von Bescheidenheit, Demut oder gar dem Gefühl
der menschlichen Bedeutungslosigkeit durchdrungen
werde? Merkwürdig, daß im Angesicht dieser
Canyonlandschaft selten von dem Gefühl der
Erhabenheit die Rede ist. Mit ihm setzt sich ja nach Kant der Mensch
dem Überwältigenden, von der Einbildungskraft nicht
mehr zu Fassenden der äußeren Natur entgegen, indem
er sich von den eigenen Vernunftideen überzeugt, die allein
diese Empfindung von Unermeßlichkeit oder
Unendlichkeit ermöglichen. Oder verbirgt sich in der
etwas unbeholfenen religiösen Ausdrucksweise
jene Besucher, die sich für überwältigt oder gedemütigt
erklären, im Grunde das nämliche erhabene
Selbstgefühl?
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