Wir
verlassen Lissabon und fahren in einem kleinen Mietwagen gut 50 km
nordwärts gen Mafra, wo wir in dem Herrenhaus
des Dorfes Gradil zwei Übernachtungen gebucht
haben. Dieses seit 1745 existierende Landgut „Quinta
de Sant’Ana” wird von der Tochter eines Barons von
Fürstenberg geleitet, der nach der „Nelkenrevolution”
von 1974 seinen hiesigen Wohnsitz aufgegeben hätte.
Etwa im Zusammenhang mit der anfänglichen
Enteignung von Großgrundbesitzern? Unser Zimmer führt
auf die Serra de Socorro hinaus. Im Hof davor
wachsen zwei Palmen, unter denen Ruth drei winzige
Kokosnüsse aufliest. Zimmer und Haus hat man
liebevoll eingerichtet, neben alten
Stichen hängen auch neuere Porträts von Kindern.
Nach einer
Ruhepause fahren wir zu den Kloster- und Palastanlagen von Mafra
und nehmen an der letzten Führung des Tages teil.
Alles ist überdimensioniert, die Korridore
kommen einem fußballplatzlang vor und die Säle und auch
Gemächer bahnhofshallenhoch. Erbaut wurden
die von dem schwäbischen Architekten Johann Friedrich
Ludwig konzipierten barocken Anlagen
1717-30 als Erfüllung eines Thronfolge-Gelübdes
von João V.; sie kosteten ein Viertel des Goldes aus
Brasilien und das Leben von 1400 Bauarbeitern.
Die Arbeiter wurden von Soldaten bewacht,
und gegenwärtig werden die meisten Gebäudetrakte von
Militärs bewohnt. José Saramago
erzählt in seinem Roman ,Das Memorial’
(1982) von dieser Schindarbeit, für die man jeweils an die 200
Männer in Holzbaracken gepfercht hielt,
berichtet, wie bei Tag und Nacht Rauchsäulen aus den
Ziegel- und Kalkbrennöfen aufstiegen und einmal
mit 200 Ochsengespannen über acht Tage hin
eine Marmorplatte für die Empore über dem Portikus
der Kirche herangezogen wurde. – Einem
Gerücht zufolge sollen Heerscharen von Ratten
die Souterrains bewohnen und hunderte von Katzen
von dorther nicht zurückgekehrt sein.
- 13 -