Eine
weitere Viertelstunde zu Fuß liegt ein kleineres Kino gleich bei
einer Straßenbahnhaltestelle, die wohl denselben
Namen wie das Kino hat. Führt nicht eine Außentreppe einige
Meter hoch zum Eingang? Gezeigt werden hier öfter
Piraten- sowie Mantel-und-Degen-Filme, doch ist mit dem
Anblick dieses Kinos für mich ein
Indianerfilm fest verbunden, der Farbfilm ‚DER
LETZTE MOHIKANER’,
von dem ich nichts weiter als diese Szenenabfolge
bei Uncas’ Tod in Erinnerung behalten habe:
Verfolgt
von den furchterregenden, nahezu kahlköpfigen Mingos <nein:
Huronen>
läuft Uncas mit der weißen jungen Frau <Cora>
immer weiter hinauf in den Bergwald, nach rechts hin, bis beide
vor einem Abgrund stehen. Als die Verfolger heran sind,
springt Uncas mit der Frau – oder nach ihr? – in die Tiefe ...
Dann ist noch zu sehen, wie seine Hand sich auf dem Boden vortastet,
ihre Hand findet und sie umschließt.
Wie oft habe
ich nicht schon an diese Geste zurückdenken müssen! Und hielt
zuletzt über Jahre hin, beinahe Tag für Tag – wie
für ‚Die Kinder vor Mara-Mara’ – in den Programmzeitschriften
Ausschau nach dem Film. Die 1995 von mir gesehene Fassung
von G. Sherman war es nicht (1947), so daß eigentlich nur noch die
von George B. Seitz (1936) in Frage kam, die in Deutschland am
18.12.51 uraufgeführt wurde (FSK:
ab 12 Jahren).
Endlich
wurde der Film doch noch von einem privaten Fernsehsender gezeigt.
Da ich den Video-Aufzeichnungssignalen
mißtraute, stellte ich zur Sicherheit noch meinen Wecker
auf die morgendliche Stunde der Ausstrahlung. Und sagte mir
mehrmals im Traum, der undeutlich einige Waldszenerien zeigte,
daß ich bald aufstehen müßte.
Diese
Filmversion zeigt Randolph Scott als Falkenauge (Scott ist hier weit
lebendiger als in späteren Rollen), Binnie
Barnes als Alice Munro (eine kluge und bestimmte Schönheit) und
Phillip Reed als melancholischen und sanft redenden Uncas.
Es ist allerdings ein Schwarz-Weiß-Film! Schon beim Vorspann
war ich mir beinahe sicher, diese vignettengleichen
Filmportraits der Hauptfiguren schon einmal
gesehen zu haben. Obgleich dann viele spannende
Einzelszenen zu sehen sind, sogar die von mir einst so
geliebten fliegenden Tomahawks, erkannte ich im
Unterschied zu Fords ‚Trommeln am Mohawk’ nur noch
wenige Einzelheiten wieder, so Duncan Haywards
Grußwort für Alice („ein ziemlich kurzer Kuß für eine so
lange Reise”), das wundervolle Gesicht des alten
Huronenhäuptlings und schließlich die
ergreifende Art, wie Chingachgook, nachdem er Magua ertränkt
hat, den Kopf hebt und nur den Namen des Gerächten ausspricht:
„Uncas!”
Die
Flucht ins Gebirge verläuft allerdings nicht von rechts nach links
hin, sondern umgekehrt! Und nicht Uncas springt in die Tiefe,
sondern Cora entzieht sich so Magua, der Uncas mit einem
Tomahawkschlag hinunterstürzte und sich dann
ihr, die mit weit aufgerissenen Augen dasteht, in einer Nahaufnahme
so beklemmend nähert, daß sein Gesicht zuletzt zum Schatten
wird – ein mir noch zutiefst vertrauter visueller Eindruck. Die
Sterbe- und Vereinigungsszene ist weit
prosaischer, als ich sie in Erinnerung behalten habe,
wird doch die suchende Hand in eine etwas redselige
Bildabfolge eingepaßt: Uncas kriecht schräg auf Cora zu,
die im Vordergrund daliegt, das Haar in einem Gewässer.
Anschließend eine Nahaufnahme, in der seine Linke, die ein
Muschelarmband und am kleinen Finger einen Ring trägt,
sich auf ihre linke Hand legt. Halbnah nun, über den Körper der auf
dem Rücken daliegenden Frau hinweg, wie er, leicht
aufgerichtet, zu ihrem Gesicht mit den geschlossenen
Augen hinüberblickt, lächelt und langsam den
Kopf sinken läßt. Nah dann erneut seine umklammernde
Hand, die sich sogleich mit einem kleinen Ruck löst. – Für
mich war und blieb dies die Geste einer Treue bis in den Tod.
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