Unser
Busfahrer steuert derweil "Hongkong-Island" an, ein
von den Briten einst unter dem Namen "Victoria City"
angelegtes Wohngebiet, und bringt uns dann auf
gewundener Straße hoch zum "Victoria-Peak". Dieser
soll einen phantastischen Blick hinunter auf den Victoria-Hafen und
das jenseitige Kowloon bieten. Wie wir
hören, durften seit etwa 1880 nur vermögende Leute aus dem Westen
den Berghügel bewohnen und wurden damals noch in Sänften
hochgetragen; gegenwärtig sollen sich vor allem Hongkongs
chinesische Milliardäre für den Hügel als Wohngebiet
interessieren. Einmal allerdings hätte auch
die übrige Bevölkerung den Peak überrannt, als hier
nämlich im Winter bei 3° Frost zum ersten Mal seit
Menschengedenken Schnee zu sehen war (die
hiesigen winterlichen Tiefsttemperaturen liegen meist
bei plus 10-13°).
So
stehen wir denn bald unter hunderten Besuchern auf knapp 400 Metern
Höhe auf der kugelsegmentförmigen Aussichtsplattform des "Peak
Towers" und lassen uns die Szenerie drunten erläutern. Sie
kann einen beim ersten Anblick an Shanghai
erinnern, wo wir über den Huangpu-Fluß auf das jenseitige
Ufer mit der Skyline von Pudongs Wolkenkratzern blickten.
Hier jedoch, von der beträchtlichen Anhöhe hinunter,
wird das Auge von dem faszinierenden
Hochhauskonglomerat angezogen, das noch diesseits des
Hafengebietes direkt unter uns liegt.
Auffällig
bei diesem Anblick des handels- und finanzkapitalistischen
Ballungsgebiets oder "Central-Districts" von Hongkong ist
die Beeinflussung hypermoderner chinesischer
Architektur durch die alte Feng-Shui-Lehre, die hier mit dem
volkstümlichen Aberglauben besonders eng verquickt zu sein scheint.
Wie wir schon bemerkten, führt etwa der phonetische
Gleichklang für die Bedeutung "vier" (sì) und die
Bedeutung "Tod" (sǐ) dazu, daß man die Zahl Vier als
Unglückszahl betrachtet und deshalb in China wie
hier in Hongkong viele Hotels kein 4. Stockwerk als solches anbieten.
Diese abergläubische Feng-Shui-Ideologie
wird von vielen Hongkongern offenbar so ernst
genommen, daß sogar beim Hochhausbau die traditionellen
Feng-Shui-Meister das letzte Wort behalten können. Norman
Foster, damals noch nicht weltberühmt wie heute, mußte
dies beim Bau der 1985 eingeweihten gigantischen
HSBC-Bank (Hongkong and Shanghai Bank) erfahren
und seine Pläne immer wieder entsprechend abändern. Das betraf
unter anderem die Winkelneigung der Lauftreppen oder
die Postierung zweier Löwenskulpturen
des Vorgängerbaus vor dem Eingang der Bank. Und auch eine kleine
Tollheit beim Feng-Shui-Styling dieser Großbank
springt uns ins Auge, nämlich die nachträgliche Gestaltung des
Dachkomplexes: Wie das obige Zoomphoto vom Peak Tower
her gut erkennen läßt, hat sie offensichtlich den
Kommandoturm eines Kriegsschiffs zum Vorbild und richtet
zwei kanonengleiche Installationen - eingesetzt zur
Fassadenreinigung? - gegen ein Nachbargebäude.
Dieses
Nachbargebäude ist der von dem überragenden sino-amerikanischen
Architekten Ieoh Ming Pei konzipierte gläserne Tower der Bank of
China (1990). Der an ein wachsendes Bambusrohr
appellierende und wie ein Prisma gestaltete Büroturm wurde wegen
seiner scharfen, von Feng-Shui-Anhängern als aggressiv
empfundenen Kanten und Dreiecksformen so heftig
geschmäht, daß viele Büroräume über Jahre hin keine Mieter
fanden. - Pei, von dem wir zuletzt in Houston,
Texas zwei außergewöhnliche Gebäude zu Gesicht bekamen, stammt aus
Hongkongs Nachbarstadt Kanton; und es war sein Vater,
der einst die Hongkonger Filiale dieser Bank of China gegründet
hatte.
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