Die
immer noch gern kolportierte Version, daß der Großvater von
Xianfeng, Kaiser Jiaqing, 1820 in Chengde von einen Blitz
erschlagen wurde und wegen dieses für Chinesen
unheilvollen Omens der Hof von da an die
Sommerresidenz gemieden hätte, geht vermutlich auf
eine Desinformation durch westliche Diplomaten oder Reporter zurück.
Nicht der Schlag eines Blitzes ereilte ihn, sondern
wahrscheinlich ein Schlaganfall ("stroke").
Unsere Reisegruppe
durchläuft zuletzt gemächlich das Seengebiet
im Osten der Anlage. Größere
Inseln der Seenplatte wurden hier durch Dämme in Inselchen
unterteilt. Da und dort haben sich
nur Ruinen oder die Grundmauern eines Pavillons erhalten. Wie in der chinesischen Gartenarchitektur üblich,
sind etliche Anlagen Nachbildungen anderer berühmter
Gärten und Gebäude, so das exponiert auf
der Insel des Grünen Lotos gelegene "Haus des Dunstes und des
Regens", in dessen oberem Stockwerk der Kaiser seine
Studierzimmer hatte. Und von dem Areal "Graspfad
und Wolkendamm" werden wir in einigen Tagen dessen Vorbild
sehen, den Su-Damm am Westsee von Hangzhou. Als ich jetzt aus
einiger Entfernung etliche Zinnen der 10 km
langen Palastmauer von Chengde erblicke, ist
mir sekundenlang, als hätte ich einige der sehr weit entfernten Wachtürme
der Großen Mauer vor Augen.
Für ihre hiesige Sommerresidenz haben die Kaiser nicht nur Brücken, Türme
oder Pavillons nachbilden lassen, sondern ganze Palastanlagen wie die Stammsitze
des Dalai- und des Panchen-Lama. Bestätigt dies das
Klischee von der Kopierwut der Chinesen? Oder ist
es nicht vielmehr so, daß diese Garten-, Landschafts- und
Gebäudezitate damals - und auf welch anderen Gebieten noch heute? - sich
zwischen der imperialen Geste der Aneignung des Fremden und der
diplomatisch-bewundernden Geste
der Anerkennung bewegen können?
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