Quelle: http://bi.schraven-net.de/su/mitrei/mtlRei-f0005.html
Herr
Studienassessor Hamm,
der uns in dem neuen Unterrichtsfach „Gemeinschaftskunde”
unterrichtet,
ist der letzte Lehrer, den wir in der Oberstufe erhalten. Sein
Unterrichtsstil weiß tolerante Lässigkeit mit nüchterner
Programmatik zu vereinen und scheint mir überdies eine neue
Generation von Lehrern anzukündigen. Gemeinschaftskunde
überschneidet
sich zwar im Stofflichen immer wieder mit den alten Fächern Erdkunde
und Geschichte, führt uns aber in eine neue
sozialgeschichtliche und politische
Dimension ein, die auch ethische Fragestellungen wie die nach dem
frühkapitalistischen Umgang mit der Arbeiterschaft bereithält.
Darin und in dem
diskussionsintensiven
Stil
ist
dieses Schulfach für mich das erste, in dem der demokratische Geist
der doch lange schon bestehenden Bundesrepublik sich selbstbewußt
entfalten kann. Herr Hamm ist dabei so offen, auch philosophische
Randfragen wie die nach der Willensfreiheit mit aufzunehmen, die er –
anders als ich – schon durch die menschliche Vernunft für
gesichert hält. Freilich läßt er die Frage nicht als abstraktes
Problem stehen, sondern bezieht sie sogleich wieder auf das
Unterrichtsthema <den
Determinismus der Rassenlehre>
zurück.
Er
kann durchaus ironisch, missmutig oder auch provokant auftreten,
nimmt jedoch weder unseren Widerstand noch unser Desinteresse
persönlich, sondern als Ausdruck unserer Schülerexistenz, so, als
wüsste er hierüber noch bestens Bescheid und könnte dies auch kaum
anders sein. Dafür freilich scheut er sich nicht, gelegentlich zu
denselben Listen wie unsereins zu greifen. Als ich mich einmal wegen
meines lückenhaften Schulbesuchs vor einem Referat gedrückt und das
Thema schon meinem Banknachbarn Norbert überlassen habe, setzt
er alles daran, mich von einer Stunde zur anderen, anlässlich der
Inspektion unseres Schuldirektors, wenigstens als
Korreferenten heranzuziehen. Gerade eben noch kann ich mich von einem
seiner ahnungslosen Kollegen beurlauben lassen und so dem drohenden
Fiasko entkommen.
Als
ich Tage später wegen einer ärztlich attestierten Knieverletzung
beim Sportabitur nur zusehen kann und sogar „Charly”
Meeßen mich finster anblickt und als Simulanten zu verdächtigen
scheint, ist Herr Hamm der einzige, der zu mir hintritt und sich mit
mir unterhält („ist sehr charmant”).
Ich
habe es ihm schlecht vergolten. 1995 fragte ich meinen ehemaligen
Mitschüler Willi Verbeet nach einem mir rätselhaft gebliebenen
Tagebucheintrag, der sich auf unsere Berlinfahrt vom 25.-31. 10. 1964
bezog („Diskussion mit Hamm über Berlin; sagt, er wolle das
Vorgefallene vergessen”). Er erwiderte
sogleich: „Du,
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