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Fingergestik im Nachtflugzeug nach Hollywood (1:20:16)



Denn wenn Munro für den Film eine „Geschichte” ablehnt, dann gewiß nicht einfach deshalb, weil das Leben – wie er in Sintra erklärt – auch keine Geschichte kennt, würde dies doch be­deuten, daß sich der Film den Re­geln des Lebens zu unterwerfen hätte. Das wäre eine nicht minder kunstfeindliche Haltung als es die es­ka­pi­sti­sche Ten­denz im System Hollywood ist. Dessen Klischees, gegen die vor allem die europäische Kritik der Kul­tur­in­du­strie so lan­ge und wenig erfolgreich Sturm lief, bedient nun Gordon während der nächtlichen Fahrt durch Hol­ly­wood mit Aus­dauer und treibt dadurch Munro zu einer Klärung der eigenen künstlerischen Position. In dieser zeichnet sich ein fundamentales Dilemma der Filmästhetik überhaupt ab. Daß Munro in seinen An­fän­gen „von Ein­stellung zu Ein­stellung” arbeitete, um seinen (Spiel-)­Filmen nur ja nicht das Leben auszutreiben, er­­klärt sich daher, daß er für die immer überraschende, sinnlich sich darbietende Realität und das Eigenleben ih­rer Sze­ne­ri­en offen bleiben wollte. Er konnte in jener nicht-narrativen Radikalität aber nicht einfach wei­ter­ma­­chen, denn oh­ne ei­ne geistig strukturierende „Geschichte” droht der Verfall an eine Bildlich­keit, die nicht über sich und den Mo­ment hin­aus­weist, nur noch narzißtisch an sich selber Wohlgefallen findet und eine Ein­stell­ung gleich­gül­tig an die andere reiht. Es ist dies ein altes Dilemma für den Filmemacher Wim Wenders selbst.15 Die „Angst”, die den zuletzt erzähle­risch nur zu versierten Munro am Abend vor dem Drehen überfiel, be­schlich einst auch den Re­gisseur von ,Im Lauf der Zeit’ (1976), doch bei dem anderen Extrem. Bei seiner Ad­ap­ta­tion von Goe­thes ,Wil­helm Meister’ in seinem Film ,Falsche Bewegung’ (1975) hatte er die „Zwänge ei­ner Ge­schich­te” er­fah­ren und wollte sich nun an einem für alles bedingungslos of­fenen „Reisefilm” versuchen. Auf die­sen Ver­such spielt Munros Wort an, daß „das Leben vorbeigeht, im Laufe der Zeit, ohne den Drang, Ge­schich­ten zu wer­den” (33:36-41). Wenders versuchte ja sogar, für seinen Film ,Im Lauf der Zeit’16 ohne Dreh­buch aus­kom­men und erlebte dabei bald den Horror des Orientierungsverlustes, wußte von dem einen Drehtag zum nächs­ten nicht mehr weiter und suchte verzweifelt nach einem nur halbwegs plausiblen Fortgang.

   Als ein „Korsett”17 hinwiederum empfand er den Umstand, daß sein ,Hammett’ (1982) im Jahre 1928 spielte und ihm die beim Drehen so wichtige Spontaneität kaum mehr erlaubte. Dafür hat er, wie ich nun zeigen möch­te, in diesem wohl am stärksten unterschätzten seiner Filme eine andere Werkdimension vertieft. Sein The­ma näm­lich, wie jemand zu einem Schriftsteller wird und sich bei ihm Realität und Fiktion verwirren, er­laub­te es Wen­ders selbst, sich in seiner eigenen Filmsprache auf die Mehrbödigkeit der erzählerischen Phan­ta­sie zu kon­zen­trie­ren und sich in literatur- und filmgeschichtlichen Anspielungen zu ergehen, wie es nur bei ei­nem Kri­mi­nal  und Dreh­buch­autor wie Hammett möglich war.

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