Home
Impressum
Ruth Fleigs Galerie
Schulkinder malen
Kritzel-Kratzel
Horst Fleigs Texte
I  Philosophica
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
Der Stand der Dinge
Hammett
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen




1:53:52

Draußen ist es längst hell geworden. Der Wohnwagen hat den Hollywood-Boulevard verlas­sen, und als die beiden sich vor einer „Alibaba”-Figur umarmen, peitscht ein Schuß und wird Gordon in den Rücken getroffen. Munro, vom Fal­len­den hinuntergezogen, reißt im Knien seine Super-8-Kamera hoch – hinter ihm sein über Nacht verräterisch ab­ge­stell­tes „SAM SP8”-Auto – und rich­tet sich aus der Hocke allmählich auf, dreht sich suchend mit pistolen­gleich vor­ge­hal­te­ner Ka­me­ra in einem Halbkreis, wobei die Filmkamera seinen Rundblick wie solidarisch aus der Per­­spek­ti­ve sei­ner Su­per-8 zeigt. Er scheint nichts gesehen zu haben und läßt die Kamera sin­ken. Es folgt ein Schnitt zu dem da­lie­gen­den Gor­don, der von seinem Dackel beschnüffelt wird, und zurück zu Munro, der gleich danach erschossen wird. Er bricht über Gor­don zu­sammen, wäh­rend die Filmkamera in schneller Suche erneut jenen Halbkreis abfährt – und noch ein Stück­chen weiter nach hinten, wo man nun am Straßenrand eine schwarze Limousine erkennt. Wie­der wird zu Mun­ro ge­schnit­ten, der noch im Liegen seine Kamera hochzuhalten sucht. Im Um­schnitt bekommt man nun in einer ver­kipp­ten Su­per-8-Aufnahme mit, wie die schwarze Li­mou­si­ne los­fährt und mit quietschenden Reifen wen­det. Mun­ros Ka­me­ra folgt ihr nicht mehr, son­dern bleibt auf den Asphalt gerichtet, wobei noch ein weiteres Auto jenseits ins Bild kommt und gleich danach eines diesseits, das nach ein, zwei Sekunden als Standbild fest­ge­hal­ten wird, als wä­re das Au­ge die­ser Kamera gebrochen. Ra­sches Abblenden.

 

 

***

 

Fällt Munro mit der Kamera in der Hand, so in der ironischen Schwebe zwischen vorge­zeich­­ne­ter Bestimmung und fak­ti­schem Zufall oder Versehen (in Hollywood am richtigen Ort, doch im fal­schen Moment mit einer „falschen Be­we­gung”). Er fällt so kaum anders als der von ihm in Sin­tra parodierte todessüchtige ,Hamlet’-Verehrer Doc Hol­li­day, der im un­gün­stigsten Moment von seinem Hustenanfall erwischt wird und sich gleichwohl wie Munro noch ein­mal zum Schuß hoch­rap­pelt. Wer die gewisse Ironie darin verkennt und über­haupt die Differenz zwischen dem Re­gis­seur Mun­ro und Wen­ders so wie jene zwischen Gor­don und Coppola, kommt bald zu halt­lo­sen Folgerungen. R. Ph. Kol­ker und P. Bei­cken, die in ih­rem Filmbuch über Wenders immer wie­der gute Beobachtungen zum Inhalt und Ge­halt brin­gen, aber zu der ei­gentlichen, künst­le­ri­schen Dimension eines Films enttäuschend wenig zu sagen ha­ben, schei­nen zu glau­ben, daß Wen­ders Munros Tod mit dem eines argentinischen Kameramannes in Guzmáns ,Batt­le of Chi­le’ (1975) gleich­set­zen wollte, der unfreiwillig die eigene Liquidation (Pistolenschuß) durch das Militär do­ku­men­tier­te. Und sie deu­ten de­mentsprechend Munros Ende als ästhetische Ka­pi­tu­la­tion von Wenders selbst: „His ex­pe­ri­ence with Cop­po­la must surely have convinced him that the time of the art film and his previous life as a sensitive, subjective filmmaker were over”. „After ,The State of Things’, Wenders begins a descent from modernism in­to me­lo­dra­ma and then in­to the postmodern mode”.14 Dagegen möchte ich in meiner ,Hammett’-Analyse zeigen, daß Wen­ders sei­ne künstle­ri­sche Sub­jek­ti­vi­tät und Eigenwilligkeit sogar unter diesen Pro­duk­ti­ons­bedingungen zu be­haup­ten ver­stand, in­dem er sich auf seine weithin immer noch verkannte kryp­ti­sche Dar­stellungsweise kon­zen­trier­te.

   Wenders’ Lebenswerk wird man sicherlich gerechter, wenn man Munros Tod als Variante des „To­des der Kamera” auf­faßt, den Wenders 1969 in ,Alabama (2000 Light Years)’ insze­nierte. Dies in einer Empathie mit dem sterbenden Hel­den, die aber schon da­mals auf keine my­sti­sche Identität mit dem Filmemacher Wim Wenders hinauslief. So daß man nun auch an­mer­ken darf, daß sich in jener frühen Gangsterfigur und auch in der anderen in ,Same Player Shoots A­gain’ (1968) bei ikonographisch genauerer (kryptischer) Lesart eine Christus­gestalt ab­zeich­net. Und daß man in Mun­ro, des­sen Tod sich im Standbild seiner Super-8-Ka­mera widerspiegelt und mit dem zugleich dieser Film sein En­de fin­det, ei­ne verwandte Märty­rerfigur erblicken kann, die für ihre Überzeugung fällt. In den Umständen eher zu­fäl­lig zwar, da­für aber gei­stig in doppelter Frontstellung gegen das krude Lebensrecht des Stärkeren (,The Sur­viv­ors’) und ge­gen die von Hollywood geförderte Flucht aus dem Leben und der Verant­wortung.


- 19 -
ZurückWeiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/