Versäumte
ich im ersten Halbjahr der Oberprima laut Herbstzeugnis 95 Stunden,
also durchschnittlich einen Tag in der Woche, so steigerte ich
mich im zweiten Halbjahr erheblich und fehlte noch in den letzten
Wochen vor dem Schriftlichen Abitur laut Tagebuch mindestens an
acht Unterrichtstagen. Insofern diese
Abstinenz auch eine Form der Selbstbehauptung war,
wäre es unsinnig, all die versäumten Möglichkeiten
zu beklagen, vor allem die Lücken in den
mathematisch-naturwissenschaftlichen
Fächern, die in der Regel schon auf den Mittel- und
Unterstufenschüler zurückgingen.
Damals konnte ich mich allein durch Schweigen und
Arbeitsverweigerung gewissen Paukern entziehen. Wenn ich
vor deren konkreten Anforderungen
versagte und sicherlich auch einige andere Lehrer durch
mein Desinteresse enttäuschte, dann versagten
sie darin, daß sie mir so fundamentale, bei
„Studienräten” eigentlich zu erwartende Einstellungen wie die
Freude am Erkennen und an einem problembewußten
Lernen über Jahre hin nicht beizubringen verstanden.
Weit
krasser versagten sie vor den vielen anderen, die oft noch
ungünstigere Ausgangsbedingungen hatten und deren Eliminierung
ich seit dem Übergang zum Gymnasium als ungerecht und brutal
empfand. Wie nur konnten uns diese Pädagogen derart
ausdauernd und ohne Widerspruch, Jahr für Jahr,
sitzenbleiben lassen und so
erfolgreich von der Schule fortekeln, daß aus meiner „Sexta
a” nur ein einziger den direkten Weg bis zum Abitur
schaffte, das
heißt ohne sitzengeblieben oder auf ein anderes Gymnasium
gewechselt zu sein? Gewiß, diese Lehrer waren weithin
während der Naziherrschaft ausgebildet worden
oder hatten gar wie der uns so verhaßte „Trapper”
Franz
Pieczyk eifrig
mitgemacht; aber ausgebildet während dieser Zeit
wurden ebenso die Ausnahmen wie Hans
Helmut von
der Laden (Jg.
1923) „Egon”
Hebel (Jg. 1915)
oder „Charly”
Meeßen (Jg. 1910),
die uns respektierten, auch den vermeintlich
schwächeren Schülern ihre Aufmerksamkeit
schenkten und uns so im Innersten förderten,
selbst wenn sie selbst von so mancher Entwicklung
abgeschnitten zu sein schienen, die für uns in der Oberstufe
relevant wurde (die Existenzphilosophie
etwa oder Surrealismus, Psychoanalyse und Kritische Theorie).
Ihre persönliche Freundlichkeit war sachgerecht,
brachte uns ihr Fach pädagogisch nahe, während
jene schlagenden, sadistischen oder nur unerbittlich strengen
Lehrer sich hinter ihrem Fach versteckten,
indem sie so taten, als wäre es dessen eiserne Disziplin,
die sie uns zu spüren gaben. Unglückliche
Existenzen, die ihren Beruf verfehlt hatten
und trotz ihres Doktortitels, den sie auffallend
öfter als die wirklichen Pädagogen
führten, keine tieferen Erfahrungen
mit Wissenschaft und Forschung gemacht haben
konnten, wären sie sonst doch nicht so kleinlich auf
mechanische Reproduktionsleistungen
aus gewesen.
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