Lektüre in der Prima
dung,
daß wir trotz eindringlicher
Interpretation die Sache längst noch nicht
erschöpft haben. Eine Offenheit und ein methodischer
Zartsinn,
die so gar nicht zu seiner persönlichen Ausstrahlung
passen und noch weniger zu seiner dogmatischen,
ja propagandistischen
Begünstigung
solcher Themen und Stoffe, die seiner katholischen
Konfession oder doch der christlichen Ideologie nahe
bleiben. So behandelt er mit uns T.S. Eliots im 12.
Jahrhundert spielendes
Märtyrerdrama ‚Murder
in the cathedral’,
B. Shaws Tragödie ‚Saint
Joan’
(15. Jh.), N. Hawthornes Passionsgeschichte
‚The Scarlet
Letter’
(im puritanischen Neuengland des 17.
Jh.) sowie, im anbrechenden 20. Jahrhundert
angesiedelt, einige Erzählungen aus J.
Joyces ‚Dubliners’
und Th. Wilders Bühnenstück ‚Our
town’,
in dem die Toten das Leben allmählich zu vergessen
und sich auf ihr weiteres Schicksal einzustellen
haben. Dr. Börgers, der einer katholischen
Verbindung angehört, erlaubt sich auch die Bemerkung,
daß es ohne das Auseinanderbrechen der
mittelalterlichen katholischen
Ordnung nie hätte zu Hexenprozessen kommen
können.
Ein Mitschüler erzählte mir Jahrzehnte
später, daß Herr Börgers, der wie er jenem ‚Bund
Neudeutschland’ angehörte, ihn streng
zurechtgewiesen und ihm mangelnde
„Demut” vorgeworfen hätte, als er ihm
einmal seine Bedenken gegen den katholischen „Index”
der verbotenen Bücher vortrug.
Friedrich
Börgers hatte übrigens 1953 in Bonn mit einer sprachstilistischen
Studie über
,Die Erzählform Fritz Reuters’ promoviert.
So
bin ich hin und her gerissen zwischen seinem autoritären
Stil, der es ihm eine Zeitlang auch gestattet, als
Beratungslehrer unsere
Schülerzeitung zu ‚redigieren’,
und seiner Meisterschaft, uns in die andeutungsreiche, indirekte
und verhüllende Sprache der Literatur
einzuführen. Literarisches Niveau hat für mich
zudem die Diskretion, mit der er die eigene Person
umgibt. Einmal legt er uns eine Photographie des
Nobelpreisträgers <von
1962> John
Steinbeck vor und fragt schließlich, ob es nicht sein könne,
daß auf dem so ernsten Gesicht ein kleines Lächeln liege.
Seitdem oder doch schon seit Jahrzehnten finde ich in
Steinbecks Physiognomie immer auch die
von Herrn Börgers wieder; scheine ich doch seine Frage als
verkappte Selbstindizierung aufgefaßt
zu haben, als Andeutung eines uns verborgenen Potentials an
Wohlwollen und Freundlichkeit. Ähnlich sein
understatement,
als er etliche Zeit nach der Amputation
seines kleinen(?) Fingers – er trug plötzlich eine schwarze
Fingerkappe – bemerkt, niemandem zu
wünschen, gewisse physische Schmerzen
ohne Betäubung aushalten zu müssen; oder als er die
Schwierigkeiten erwähnt, die den erwarten, der sich
einmal ernstlich auf die Übersetzung eines
Textes einlasse. Beides beziehe ich
intuitiv sofort auf ihn.
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